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nicht erwarten dürfen, dass er unter allen Umständen Produkten der heimischen Volkswirtschaft den Vorzug gebe, denn sein Wesen ist nun einmal international und muss es sein, wenn die nützlichen volkswirtschaftlichen Begleiterscheinungen eines selbständigen Handels – Ausgleich von Angebot und Nachfrage nach dem ökonomischen Prinzip und die hiermit zusammenhängende Preisnivellierung – überhaupt zur Geltung kommen sollen.


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Kann somit ein Zweifel darüber nicht bestehen, dass der Handel an sich durchaus jener wirtschaftlichen Tätigkeit zugerechnet werden muss, von der wir sagen, dass sie produktiv sei, so gilt dies doch immer nur unter den oben dargelegten Voraussetzungen, dass er nämlich in irgend einer Weise zur rationellen Nutzbarmachung von Gütern beiträgt. Wo die bisherigen Funktionen des Handels auf andere Weise und mit geringerem Aufwand erfüllt werden können, wird man infolgedessen seine Ausschaltung volkswirtschaftlich nicht bedauern dürfen. Tendenzen, den Handel an manchen Stellen auszuschalten, um dadurch den Weg zwischen Produzenten und Konsumenten im Interesse der letzteren zu verkürzen, machen sich in der Tat je länger desto mehr geltend und sofern sie wirklich eine Rationalisierung der Güterversorgung im Gefolge haben, sind sie zu begrüssen, selbst auf die Gefahr hin, dass dadurch einem Gewerbe Abbruch getan wird, das sich unter anderen Verhältnissen als volkswirtschaftlich nützlich erwiesen hat. Wie ja auch das Handwerk zu grossen Teilen auf der Strecke geblieben ist, weil sich Betriebsformen herausbildeten, die mit geringerem Aufwand mehr leisteten.

Zu nennen ist hier in erster Linie das Genossenschaftswesen, das in seinen mancherlei Formen dem Handel je länger desto mehr empfindlichen Abbruch tut. Bezugsgenossenschaften z. B. schaden dem Grosshandel, indem die in solcher Genossenschaft vereinigten Gewerbetreibenden oder Landwirte infolge des nun vorliegenden Massenbedarfs direkt mit dem Produzenten in Beziehung treten. Der Vorteil liegt auf der Hand. Beziehen 50 Schuhmacher das von ihnen benötigte Leder als einzelne, so ist der Grossist ganz unentbehrlich, da die Fabrik auf die Abgabe so kleiner Quantitäten sich in der Regel nicht einlassen kann. Der gemeinsame Bezug macht die direkte Verbindung aber sofort möglich. Da auf solche Weise für die Gewerbetreibenden schon vor Beginn der eigentlichen Produktion sich eine Verringerung ihrer Produktionskosten ergibt und die Ausschaltung der Vermittlungstätigkeit des Handels in der Regel auch keine Nachteile im Gefolge hat, so würde hier die fernere Inanspruchnahme der Grossisten unrationell sein. Es unterliegt keinem Zweifel, dass gerade auf diesem Gebiete noch grosse Entwicklungsmöglichkeiten vorhanden sind. Die Grossisten selbst freilich bekämpfen diese Tendenzen aufs äusserste, indem sie beispielsweise ihrerseits Fabrikanten, die direkt an Gewerbetreibende oder Detaillisten liefern, nichts abkaufen. Da ausserdem die Fachpresse der Handwerker und Detaillisten zumeist auf die Annoncen der Grossisten angewiesen ist, sind dieser in der Propagierung der Genossenschaftsidee sehr enge Grenzen gezogen. So wenig den Grossisten der Kampf um die Existenz verdacht werden soll, so sehr muss betont werden, dass ihre Ausschaltung durch Bezugsgenossenschaften im Interesse einer rationellen Güterversorgung erwünscht ist.

Gefährden die Genossenschaften der Handwerker und Detaillisten den Engros-Handel, so werden die Detaillisten ihrerseits von den Konsumgenossenschaften bedroht, indem diese bestrebt sind, den allerkürzesten Weg zwischen Produzent und Konsument herzustellen. „Die Kundschaft in ihrer Gesamtheit wird hier Trägerin der sonst dem Handel zufallenden Vermittlungstätigkeit“ (Lexis). Die Praxis hat gezeigt, dass die Konsumvereine – sei es durch niedrigere Preise, sei es durch Ausschüttung einer Dividende – die Kosten der Lebenshaltung ihrer Mitglieder wesentlich verbilligen. Da dies wieder eine Rückwirkung auf die Lohnhöhe hat, von der zum Teil die Konkurrenz unserer Industrie auf dem Weltmarkt abhängt, so wird auch hier von einer nützlichen Ausschaltung des Zwischenhandels gesprochen werden können. Es wäre deshalb auch falsch, die Entwicklung der Konsumvereine durch Steuergesetze und dergl. aufhalten zu wollen, wie anderseits der Staat freilich keine Veranlassung hat, die Konsumvereine zu begünstigen und so den Prozess mit seinen Folgen für einen grossen Erwerbsstand zu beschleunigen. Diese wirtschaftlichen Kämpfe müssen zwischen den Beteiligten ausgefochten werden, ohne dass der Staat dazwischen fährt.

Von ganz besonderer Bedeutung kann das Genossenschaftswesen mit den hier erörterten Folgeerscheinungen in der Landwirtschaft werden. Und zwar nicht nur im Hinblick auf den gemeinsamen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/330&oldid=- (Version vom 8.10.2021)