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eines Buchhalters, Korrespondenten, Kassierers, Lagergehilfen, Reisenden oder Verkäufers. In kleineren Geschäften dagegen sind mehrere dieser Ämter oder alle zugleich einer und derselben Person übertragen. Man hat versucht, die mehr als anderthalb Millionen deutschen Handlungsgehilfen als „Arbeitnehmer“ schlechtweg den Lohnarbeitern zuzurechnen. Dies bedeutet zweifellos eine Verkennung der wirklichen Sachlage, denn das Verhältnis des Handlungsgehilfen zum Geschäftsinhaber unterscheidet sich vom Lohnarbeiterverhältnis in sehr wesentlichen Punkten. Zunächst ist schon die Verbindung zwischen Prinzipal und Gehilfen nach der Absicht beider Teile eine stabilere. Der Dienstvertrag wird auf längere Zeit geschlossen, das Gehalt für längere Fristen vereinbart und in grösseren Intervallen, meist monatlich, bezahlt. Ferner haben wohl die meisten Handlungsgehilfen die Absicht, einmal selbständig zu werden, während der Fabrikarbeiter sich in die Tatsache, zeitlebens in abhängiger Stellung verharren zu müssen, schon vollständig hineingefunden hat. Hierbei ist freilich zu berücksichtigen, dass auch die Zahl der Handlungsgehilfen, die es zur Selbständigkeit bringt, zusehends kleiner wird, womit natürlich deren soziale Stellung sich grundsätzlich ändert. Immerhin ist der Unterschied zwischen Handlungsgehilfen und Arbeitern selbst im Hinblick auf die allgemeinen Grundlagen ihres Dienstverhältnisses heute noch so gross, dass auch die Gesetzgebung für jede der beiden Klassen gesonderte Normen aufstellt.

Nach dem Handelsgesetzbuch ist als Handlungsgehilfe anzusehen, wer in einem Handelsgewerbe zur Leistung kaufmännischer Dienste angestellt ist. Art und Umfang dieser Dienstleistungen richten sich nach der Übereinkunft zwischen beiden. Der Gehilfe hat dem Prinzipal seine ganze kaufmännische Tätigkeit ausschliesslich zu widmen; ohne Einwilligung seines Prinzipals ist es ihm verboten „ein Handelsgewerbe zu betreiben oder in dem Handelszweige des Prinzipals für eigene oder fremde Rechnung Geschäfte zu machen.“ Bei unverschuldeter Dienstunfähigkeit der Gehilfen ist der Prinzipal verpflichtet, denselben Gehalt und Unterhalt unverkürzt weiter zu gewähren, jedoch nicht für länger als sechs Wochen. Diese Bestimmung ist jedoch kein zwingendes Recht, sondern kann durch Vertrag unwirksam gemacht werden. Die Bestrebungen der Handlungsgehilfen gehen deshalb dahin, dem § 63 des HGB. zwingendes Recht zu geben. Die Zahlung des Gehalts muss am Ende jedes Monats erfolgen. Wenn das Dienstverhältnis für unbestimmte Zeit eingegangen ist, kann es von jedem Teile erst für den Schluss eines Kalendervierteljahrs nach vorheriger sechswöchentlicher Kündigung gekündigt werden. Wird durch Vertrag eine kürzere oder längere Kündigungsfrist bedungen, so muss sie für beide Teile gleich sein und darf nicht weniger als einen Monat betragen; auch kann die Kündigung nur für den Schluss eines Monats zugelassen werden. Sonst kann die Aufhebung des Dienstverhältnisses vor der bestimmten Zeit von jedem Teile nur aus einem „wichtigen“ Grunde verlangt werden. Gegen den Prinzipal kann vor allem auf Aufhebung des Dienstvertrages erkannt werden, wenn er das Gehalt oder den gebührenden Unterhalt nicht gewährt oder sich an dem Gehilfen vergreift. Gegen den Gehilfen kann insbesondere auf Aufhebung des Dienstverhältnisses erkannt werden, wenn er im Dienste untreu ist oder das Vertrauen missbraucht, wenn er den Dienst zu leisten sich weigert, sich am Prinzipal vergreift und dgl. Nach Beendigung des Dienstverhältnisses darf der Gehilfe nicht durch eine in seinen letzten Dienstvertrag eingefügte Konkurrenzklausel in seinem Fortkommen unbillig gehindert werden. Das HGB. bestimmt deshalb, dass „eine Vereinbarung, durch welche der Gehilfe für die Zeit nach der Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt wird, für ihn nur in soweit verbindlich ist, als die Beschränkung nach Ort, Zeit und Gegenstand nicht die Grenzen überschreitet, durch welche eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Handlungsgehilfen ausgeschlossen wird.“ Deshalb kann auch die Beschränkung auf keinen Fall auf einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nach der Beendigung des Dienstverhältnisses erstreckt werden. Doch auch mit dieser Einschränkung hat die Konkurrenzklausel sich als recht drückend erwiesen. Ihrer völligen Aufhebung stehen freilich auch sehr schwerwiegende Bedenken gegenüber, während die Einschränkung ihres Anwendungsgebiets wohl möglich ist und besonders der Forderung zuzustimmen ist, dass die betroffenen Gehilfen materiell unbedingt sicher zu stellen sind. Schon die Verwirklichung dieser Forderung würde den Bereich der Konkurrenzklausel auf die durch besondere Verhältnisse bedingten Grenzen zurückschrauben. Z. Zt. sind Bestrebungen im Gange, die ganze Frage der Konkurrenzklausel neu zu regeln. Die Beteiligten stehen sich freilich mit ihren Meinungen noch scharf gegenüber, doch dürfte für eine befriedigende Lösung im Reichstage eine Mehrheit zu finden sein.

Wie in der Arbeiterklasse gibt es auch im Handlungsgehilfenstande „soziale Fragen“, die der Lösung durch die Gesetzgebung harren oder diese schon gefunden haben. Kann hier auch, wie schon bemerkt, keineswegs von einer kompakten Masse mit gleichen Interessen gesprochen werden, so haben sich doch Missstände herausgebildet, die mehr oder weniger von allen gefühlt werden. Missstände, die sich überdies der Beseitigung durch Selbsthilfe entziehen und deshalb das Eingreifen des Staates erfordern. Um vor allem das Grundübel, die Stellenlosigkeit so vieler Gehilfen, zu mildern, hätte der Staat der übermässigen Verwendung von Lehrlingen Schranken

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/325&oldid=- (Version vom 7.10.2021)