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erörtert worden, wurde aber erst nach sehr umfangreichen Erhebungen und Vorarbeiten durch die Novelle vom 1. VI. 1891 der Lösung entgegengeführt (RGBl. 261). Für das Handelsgewerbe, das uns hier allein zu beschäftigen hat, wurde das Gesetz durch Verordnung vom 28. III. 92 (RGBl. 339) am 1. Juli 1892 eingeführt. (Jetzt GO. §§ 41a, 55a, 105a–105i.)

Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter dürfen am 1. Weihnachts-, Oster- und Pfingsttag überhaupt nicht, im übrigen an Sonn- und Festtagen nicht länger als 5 Stunden beschäftigt werden. Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalverbandes kann diese Beschäftigung für alle oder einzelne Zweige des Handelsgewerbes auf kürzere Zeit eingeschränkt oder ganz untersagt werden. Für die letzten vier Wochen vor Weihnachten sowie für einzelne Sonn- und Festtage, an welchen örtliche Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, kann die Polizeibehörde eine Vermehrung bis auf 10 Stunden zulassen. Alle die zum Schutze der im Handel beschäftigten Personen erlassenen Bestimmungen gelten mit der Massnahme, dass offene Verkaufsstellen zu den Stunden, in denen Gehilfen, Lehrlinge und Arbeiter nicht beschäftigt werden dürfen, den Verkauf einstellen müssen. Die Arbeitsruhe bedeutet danach ein Stillegen des Geschäfts überhaupt und trifft mithin auch den Prinzipal, soweit der Verkehr mit dem Publikum in Frage kommt. – Es bestehen mannigfache Bestrebungen, die Sonntagsruhe weiter auszudehnen, also vor allem die erlaubten 5 Stunden – die übrigens für sehr viele Handelszweige schon erheblich verkürzt sind – zu vermindern. Es besteht ein internationaler Sonntagsschutzkongress, in Deutschland ausserdem eine im Jahre 1907 gegründete Zentralstelle zur weiteren Förderung der Sonntagsruhe sowie der „Käuferbund für Deutschland“, der das kaufende Publikum anhalten will, nicht mehr am Sonntage Einkäufe vorzunehmen. In Deutschland sind als Triebkraft auch besonders die Handlungsgehilfenverbände (s. u.) wirksam.

Als ein wesentlicher Misstand war im Handelsgewerbe die Tatsache des Offenhaltens der Läden bis in die späten Abend- oft Nachtstunden je länger desto mehr empfunden worden. Da die einzelnen Prinzipale mit Rücksicht auf die Konkurrenz Abhilfe ohne finanzielle Verluste nicht schaffen konnten, wurde auch hier die Gesetzgebung in Anspruch genommen. Die Materie wurde geregelt durch eine Novelle zur Gewerbeordnung vom 1. Okt. 1900 (RGBl. 968ff.) GO. §§ 139c–139g.

In offenen Verkaufsstellen und den dazu gehörigen Schreibstuben (Kontore) und Lagerräumen ist den Gehilfen, Lehrlingen und Arbeitern nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 10 Stunden zu gewähren. In Gemeinden von mehr als 20 000 Einwohnern muss die Ruhezeit mindestens 11 Stunden betragen. Die gleiche Stundenzahl kann durch Ortsstatut für kleinere Ortschaften vorgeschrieben werden. Innerhalb der Arbeitszeit haben die Gehilfen Anspruch auf eine angemessene Mittagspause. Wer die Hauptmahlzeit ausser dem Hause einnimmt, muss hierfür mindestens ein und eine halbe Stunde haben. Unter gewissen Verhältnissen sind Ausnahmen zulässig. (§ 139d GO.) – Von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens müssen offene Verkaufsstellen für den geschäftlichen Verkehr geschlossen sein. Ausnahmen sind zulässig für unvorhergesehene Notfälle, an 40 von der Ortspolizeibehörde zu bestimmenden Tagen, jedoch nur bis 10 Uhr und endlich für Orte unter 2000 Einwohner sowie in ländlichen Gemeinden, sofern in denselben der Geschäftsverkehr sich vornehmlich auf einzelne Tage der Woche oder auf einzelne Stunden des Tages beschränkt. Während der Zeit, wo die Verkaufsläden geschlossen sein müssen, ist das Feilbieten von Waren auf öffentlichen Wegen, Strassen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten oder ohne vorherige Bestellung von Haus zu Haus im stehenden Gewerbebetrieb sowie im Gewerbebetrieb im Umherziehen verboten. Ausnahmen können auf Grund einer Bundesratsverordnung von der Ortspolizeibehörde zugelassen werden. – Auf Antrag von mindestens zwei Dritteln der beteiligten Geschäftsinhaber (das heisst der Abstimmenden, s. u.) kann für eine Gemeinde oder mehrere örtlich unmittelbar zusammenhängende Gemeinden durch Anordnung der höheren Verwaltungsbehörde nach Anhörung der Gemeindebehörden für alle oder einzelne Geschäftszweige angeordnet werden, dass die offenen Verkaufsstellen während bestimmter Zeiträume oder während des ganzen Jahres auch in der Zeit zwischen 8 und 9 Uhr abends und zwischen 5 und 7 Uhr morgens für den geschäftlichen Verkehr geschlossen sein müssen. Die Abstimmung muss erfolgen, wenn ein Drittel der beteiligten Geschäftsinhaber es beantragt.

V. Die im Handelsgewerbe beschäftigten Hilfspersonen.

Die im Handelsgewerbe beschäftigten zahlreichen Hilfspersonen zerfallen in zwei Kategorien: die unqualifizierten Arbeiter und das kaufmännische Personal. Erstere haben gröbere Arbeiten, wie das Packen und Austragen der Waren, also Handlangerdienste zu leisten, während letztere den Chef bei der spezifischen Handelstätigkeit zu unterstützen haben. Von ihnen, die zumeist Handlungsgehilfen oder Kommis (neuerdings auch Privatbeamte) genannt werden, soll hier etwas ausführlicher gesprochen werden.

Im rationellen modernen grösseren Handelsbetrieb ist heute eine weitgehende Arbeitsteilung zur Durchführung gebracht. Der Handlungsgehilfe übt hier die genau umgrenzten Funktionen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/324&oldid=- (Version vom 7.10.2021)