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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

In der Linienschiffahrt ist das Prinzip der Arbeitsteilung besser durchgeführt. Die an einem bestimmten Zweig des Verkehrs beteiligten Linien haben zumeist immer Abreden untereinander getroffen, durch die man versucht, Frachten und Passagepreise zu regeln. Eine derartige Regelung, so schwierig es in der Praxis auch häufig ist, sie zu schaffen und aufrecht zu erhalten, ist eine Notwendigkeit, weil es gar keinen anderen Schutz für das Schiffahrtsgewerbe gibt und ohne jeden Schutz dieses nicht in der Lage wäre, seiner Hauptaufgabe gerecht zu werden, nämlich dem Verkehr regelmässige und leistungsfähige Linien und diese jedem, dem grossen Verlader sowohl wie dem kleinen zur Verfügung zu stellen. Schutzzölle, die die ausländische Konkurrenz fernhalten, gibt es nicht; die natürlichen Faktoren erlauben jedem Schiff überall und überallhin zu fahren, die Qualität der Leistung spielt im Frachtverkehr und einem grossen Teil des Personenverkehrs nicht die ausschlaggebende Rolle. So sehr der Verlader unter Umständen regelmässige und geordnete Verbindungen, wie sie eine gut fundierte Linienreederei bietet, schätzt, so wenig lässt er sich dadurch allein bewegen, der betreffenden Linie alle seine Verladungen zuzuführen, häufig ist ihm der Preis für die Beförderung seiner Waren wichtiger, weil er glaubt, dadurch einen Vorsprung vor einem Konkurrenten zu erhalten. Hinzu kommt, dass der Personenverkehr stets, Jahr für Jahr, eine „Saison“ hat, d. h., dass er nur in bestimmten Teilen des Jahres so stark ist, dass er die Schiffe voll oder zum grössten Teil in Anspruch nimmt, der Frachtverkehr nur in Jahren einer Hochkonjunktur so gross ist, dass er den vollen Raum der Liniendampfer beansprucht. In den übrigen Zeiten würde ein wilder, ungezügelter Wettbewerb die Preise der Frachten und Passagen bis auf einen ruinösen Stand herunterwerfen und der grosse Frachtkontrahent die Möglichkeit haben, einen mehr oder minder bedeutenden Vorsprung vor dem kleinen zu gewinnen, was die Grundlagen des Wettbewerbs im Handel in unerwünschter Weise verschieben würde, wenn dem Wettbewerbe der Reedereien nicht Schranken gesetzt würden durch Vereinbarungen zur Aufrechterhaltung vernünftiger Sätze. Starke Gesellschaften, die in der Lage sind, dauernde und nutzbringende Abreden dieser Art, wenn es nötig ist, zu erzwingen, sind für Deutschland um so nötiger, weil die zentrale Lage unseres Vaterlandes in Europa und die geschichtliche Entwicklung seines Hoheitsgebietes ihm zwar einen, bis jetzt für alle Zwecke ausreichenden Zugang zum Weltmeer, aber die Herrschaft über nur einen Zugang gegeben hat, während dem Verkehr nicht nur seiner Grenzgebiete, sondern sehr grosser und wirtschaftlich bedeutender Teile des deutschen Inlandes der Weg zur See auch über die Häfen der Nachbarländer offen steht. Im Wettbewerb mit diesen und den in ihnen ansässigen und den dort verkehrenden fremden Flaggen muss die deutsche Reederei trachten, ihre Stellung und ihren Anteil am Verkehr zu behaupten. In dem Augenblick, in dem sie das nicht mehr könnte, wäre es um die Leistungsfähigkeit der deutschen Seeschiffahrt und der von ihr geschaffenen Verbindungen geschehen, und – um den Verdienst, den sie dem deutschen Nationaleinkommen direkt und indirekt bringt.

Für den Politiker ergeben sieh daraus zwei Schlussfolgerungen. Erstens die, dass die Faktoren, die in der inländischen Verkehrspolitik massgebend sind, danach trachten müssen, sie so zu leiten, dass sie bei aller Würdigung der Interessen des Handels und der Industrie doch nicht den Interessen unseres eigenen Seeverkehrs nachteilig wirkt. Die zweite Schlussfolgerung ist, dass bei allen Ansprüchen, die der Staat, sei es auf dem Wege der Gesetzgebung, sei es auf anderen, an die Schiffahrt stellt, man niemals die Rücksicht auf die ausländischen Wettbewerber aus den Augen lassen und unsere Schiffahrt nicht schwerer belasten darf, als jene belastet sind. Nur dann kann im Wettbewerb mit den ausländischen Flaggen und in dem weitausgedehnten Netz von Verträgen, mit denen unsere Reedereien jenen Wettbewerb in Schranken halten, unsere Flagge sich auf der Höhe behaupten, auf die sie nach unserer gesamten wirtschaftlichen Stellung Anspruch hat.

Es würde zu weit führen, im Rahmen dieses Aufsatzes die Konstruktion der unter den Reedereien bestehenden Verträge zu erläutern; interessante Einblicke darin gibt die in den Literatur-Angaben angeführte Schrift von Thiess. Es sei nur erwähnt, dass fast alle grösseren deutschen Reedereien derartige Verträge miteinander und mit ausländischen Linien, und dadurch teilweise sehr enge Interessengemeinschaften unter sich geschlossen haben. Das hat nebenbei auch den Vorteil, dass dadurch dem Wettbewerb der deutschen Reedereien miteinander Schranken gesetzt sind, und sie ihre Kräfte auf die Erfüllung ihrer nationalen Aufgaben konzentrieren können.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/309&oldid=- (Version vom 3.10.2021)