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zwischen Schiff und Eisenbahn (einschliesslich der beim Umladen oft entstehenden Wertverminderung der Güter), ferner die Kosten für Häfen und Hafenbahnhöfe (obwohl deren Betriebskosten sehr häufig aus den Hafengebühren nicht gedeckt sondern aus den Steuern bestritten werden müssen), sodann die Kosten für die Schiffe. Bei dem Vorschlag die Seine bis Paris für Seeschiffe fahrbar zu machen, findet sich z. B. in den Berechnungen nichts über den Kraftverbrauch der Schiffe und die Zinsen und Abschreibungen, die für die sehr langsame Fahrt für die Seeschiffe selbst zu rechnen sind. – In diesem Zusammenhang ist z. B. auch die Erklärung eines früheren preussischen Eisenbahnministers unrichtig, in der er ausführte, die Eisenbahntarife könnten für Massengüter nicht ermässigt werden, eine Herabsetzung der Beförderungskosten sei nur durch den Kanal zu erzielen.

Diese Ausführungen zeigen zunächst, wie vorsichtig man bei Vergleichen arbeiten muss, sie zeigen aber auch, dass sich die Frage „Eisenbahn oder Wasserstrasse“ allgemein überhaupt nicht beantworten lässt, sondern dass von Fall zu Fall für jede Strecke zwei vollständige Entwürfe (für die Wasserstrasse und für den Neubau oder die Erweiterung der Eisenbahnanlage) nebst den Selbstkostenberechnungen aufgestellt werden müssen.

Im allgemeinen lässt sich nur sagen:

1. Grössere, selbständige Kanäle haben nur Sinn, wenn sie für Schiffe von 600 t – besser 800 t, äussersten Falls von 400 t an – Ladefähigkeit geeignet sind und unter günstigen Verhältnissen gebaut und betrieben werden können.
2. Flussverbesserungen können auch schon für geringere Ladefähigkeit lohnend sein, wenn sie geringen Geldaufwand erfordern.
3. Besonders geeignet zum Bau sind kurze Kanäle, die dazu dienen, die einzelnen Teile eines vorhandenen Wasserstrassennetzes besser mit einander zu verknüpfen.

Ausserdem ist bei den Untersuchungen noch zu beachten:

In Ländern mit Staatsbahnen ist beim Bau von Kanälen unter Umständen eine Schmälerung der Staatseinkünfte zu befürchten. In Ländern mit Privatbahnen ist die Pflege der Binnenwasserstrassen ein gutes Mittel, um der Ausplünderung des Volkes durch die Eisenbahn-Machthaber zu begegnen; das ist z. B. sehr wichtig bei der Beurteilung der nordamerikanischen Kanalpläne. – Die Eisenbahn ist für sich als Verkehrsmittel ausreichend, die Binnenwasserstrasse bedarf dagegen meist der Ergänzung durch eine Eisenbahn, weil sie zur Beförderung von Post, Personen und eiligen Gütern nicht genügend geeignet ist und weil sie im Winter versagt; für jedes grossgewerbliche Unternehmen ist z. B. der Eisenbahnanschluss unbedingt nötig, der Wasseranschluss aber nur erwünscht. – Die Behauptung, die Eisenbahn sei ganz grossem Verkehr nicht gewachsen, ist töricht; bisher hat sie sich noch jeder Verkehrssteigerung gewachsen gezeigt (mit dieser Behauptung hat man z. B. den Mittellandkanal begründen wollen). In Ländern, die erst erschlossen werden, kann man natürlich zunächst mit natürlichen Wasserstrassen, wenn sie leidlich schiffbar sind, auskommen.

Ein Haupterfordernis ist, dass das Eisenbahn- und Wasserstrassennetz auf Grund kühler Berechnungen einheitlich ausgestaltet wird und dass eine möglichst einheitliche Tarifpolitik getrieben wird. Dann wird das Volk mit dem geringsten Aufwand von Mitteln die günstigste Gesamt-Verkehrspflege erzielen; dann wird auch ein schädlicher Wettbewerb zwischen beiden nicht aufkommen können. Eisenbahn und Wasserstrasse werden sich vielmehr gegenseitig befruchten und ergänzen.

Zum Schluss möge noch auf Wasserstrassenpläne einzelner Länder hingewiesen werden, um daran die Zweckmässigkeit zu beleuchten:

Den Plan der Franzosen, die Seine bis Paris für Seeschiffe fahrbar zu machen, kann man nicht billigen, weil die Strecke zu lang ist; dagegen muss man die Seekanäle nach Brüssel und Rom gutheissen. Wirtschaftlichen Erfolg werden haben die in Nordamerika geplanten grossartigen Kanäle und Schiffbarmachungen: Die fünf grossen Seen sollen untereinander gut verbunden werden (der St. Mary-Kanal zwischen dem Oberen und Huron-See zeigt bereits eine glänzende Entwicklung), ferner sollen sie leistungsfähig angeschlossen werden an den St. Lorenzstrom, den Hudson (Eriekanal schon vorhanden) und an den Ohio, ferner an den Mississippi (Illinoiskanal), der selbst schiffbar gemacht worden soll. In Deutschland ist das grosse preussische Wasserstrassenprogramm zurzeit in Ausführung begriffen, es steht noch aus die Kanalisierung von Mosel–Saar, die Verbesserung der Elbe (und Saale nebst Anschluss von Leipzig). Die wichtigsten Fragen liegen aber für Deutschland zurzeit im Süden: Schiffbarmachung des Rheines bis zum Bodensee und Abflussregulierung dieses Sees, Main- und Neckarkanalisierung, (Rhein-)Main–Donau-Kanal. Kraftvoll soll ganz Deutschland für diese Pläne eintreten; auch Preussen sollte hierfür Gelder aufwenden, wenn sich eine Verzinsung dafür auch nicht ausrechnen lässt. Der geplante Oder–Donau-Kanal scheint nach neuen sehr genauen Untersuchungen der Eisenbahn wesentlich unterlegen zu sein.

Bei Vergleichen sollte man sich hüten die Ergebnisse folgender Kanäle ohne sehr scharfe Kritik auf neue Pläne zu übertragen: Nord-Ostsee-Kanal, Manchester-Seekanal, französische Kanäle, schwedische Kanäle, St. Mary-Kanal, denn diese Wasserstrassen unterliegen ganz eigenartigen Bedingungen.



Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/304&oldid=- (Version vom 2.10.2021)