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Österreichs, Frankreichs, Russlands zunächst zum Wunsche nach gewissen Handhaben der Retorsion, doch schlug zunächst der Reichstag kurzsichtigerweise einen Gesetzentwurf über Ausgleichsabgaben, sowie die Vertagung der Eisenzollaufhebung ab. Der Rücktritt Delbrücks (1876), des überzeugtesten Freihändlers in der Regierung, der Bismarck nötigte, seine Aufmerksamkeit mehr als bisher der Handels- und Finanzpolitik zuzuwenden, sodann die für die deutsche Eisenindustrie nahezu verhängnisvolle Aufhebung der Eisenzölle, und endlich ein neuer Reichstag, in welchem die Schutzzöllner sehr verstärkt waren, brachten es nach und nach dahin, dass Bismarck aus einem Retorsions- zu einem Schutzzöllner wurde. Die Umkehr von der freihändlerischen Richtung erfolgte dann schliesslich durch den Zolltarif von 1879, der, trotz seiner Neigung zu allgemeiner Zollpflicht, keine Zölle auf die Rohstoffe Baumwolle, Flachs, Hanf, Wolle, Kohle, Häute, und nur sehr geringe Getreidezölle (1 Mk. für 100 kg Weizen und Roggen), massige Viehzölle, einen Roheisenzoll von Mk. 1, etwas höhere Zölle auf Eisenhalbfabrikate, Zölle von Mk. 7,50 bis Mk. 15 auf Eisenwaren etc. enthielt. Wenn auch die Freihändler, und noch mehr das Ausland, diese Veränderung der deutschen Handelspolitik heftig befehdeten, so war sie doch das Richtige: Sie sicherte der deutschen Produktion den damals bedrohten inneren Markt; sie hob die deutschen Zolleinnahmen (1877–1890) von 103 auf 357 Mill. Mk. und hat, wie Schmoller treffend sagt, „eine günstige, erziehende, kompensierende, Krisen mildernde Wirkung gehabt“. – In dem nächsten Jahrzehnt wurde der Zollschutz für Industrie und Landwirtschaft weiter ausgebaut, besonders durch die Tarifreformen von 1885 und 1887, die z. T. Antworten auf die österreich-ungarischen und russischen Erhöhungen waren. Die hohen Zollsätze wurden in der Folgezeit durch Handelsverträge ermässigt. Eine grössere Spezialisierung der Industriezölle, und eine weitere Verschärfung des Agrarschutzes durch Einstellung von Minimalsätzen für Getreide brachte endlich der Zolltarif vom 25. Dezember 1902. Obwohl dieser Tarif gegen die Obstruktion der Sozialdemokratie und der freis. Vereinigung nur in der verschlechterten und gesteigerten Form der Kommission, nicht in der der Regierung zustande kam, gelang es immerhin der geschickten diplomatischen Tätigkeit der Reichsregierung auch mit diesem Zolltarif im ganzen günstige Handelsverträge, und damit einen in der Hauptsache nicht zu hohen Vertragstarif zustande zu bringen. Obwohl auch heute gewisse Interessentenkreise die befriedigende Wirkung dieser Handelsverträge lebhaft bestreiten, kann doch die Tatsache nicht abgeleugnet werden, dass unter ihrer Geltung der deutsche Aussenhandel sich von Jahr zu Jahr in sehr beträchtlichem Masse gehoben hat. –

b) Frankreich erhöhte nach dem deutsch-französischen Kriege zunächst die Finanzzölle. Durch Gesetz vom 26. Juli 1872 wurden sogar Rohstoffzölle eingeführt, die aber 1874 wieder beseitigt wurden. Unter der Präsidentenschaft von Mac Mahon (1873–1879) hatte die Regierung keinen festen Standpunkt. Man machte Russland 1874, Spanien 1877 auf dem Vertragswege Konzessionen, suchte die Handelsabkommen mit anderen Staaten zu verlängern. Die entscheidende Wendung zum Schutzzollsystem machte Frankreich durch das Zollgesetz vom 7. Mai 1881, das einen Generaltarif für die Staaten ohne Vertrag statuierte, der 24% im Durchschnitt höher war als der bisherige Vertragstarif. Die Sätze für Industrieprodukte und Eisen waren z. T. nicht unbeträchtlich höher als die im deutschen Tarif von 1879. Eine neue Kette von Meistbegünstigungs- und Tarifverträgen mit Belgien, Italien, Portugal, Schweden, Norwegen, Spanien, Schweiz und Österreich knüpfte sich an das Zollgesetz an. England behielt seine Meistbegünstigung durch ein besonderes französisches Gesetz, Deutschland infolge des Friedensvertrages von 1871. Durch zwei Gesetze in den Jahren 1885 und 1887 wurden die Getreide- und Viehzölle, die seit 1861 auf einer massigen Höhe geblieben waren, erhöht. Nach dem Abgang Tirards erstrebte man in Frankreich die Beseitigung des ganzen Vertragssystems, sowie die Herstellung eines Maximal- und Minimaltarifs. Die einschlägigen Bestrebungen hatten schliesslich Erfolg: Das Zollgesetz vom 1. Januar 1892 brachte einen schutzzöllnerischen Maximaltarif für die Staaten ohne, einen Minimaltarif für die Staaten mit Handelsabkommen; Handelsverträge sollten nicht mehr geschlossen werden, sondern um Handelsabkommen über Annahme oder Ablehnung des Minimaltarifs. Der letztere wurde etwa 40%, der Maximaltarif ca. 60% gegen den bisherigen Tarif erhöht. Der hochschutzzöllnerische Tarif von 1892 hat wohl den französischen Aussenhandel nicht gerade gelähmt, aber ihn – wie die Statistik des französischen Aussenhandels zeigt, – auch nicht gehoben. Durch ein neues hochschutzzöllnerisches

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/265&oldid=- (Version vom 26.9.2021)