Seite:Handbuch der Politik Band 2.pdf/258

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

gegen England erlassenen Einfuhrverbote wurden in dem Zolltarif vom 8. April 1816 beibehalten und auf Waren jeder Herkunft verallgemeinert.

c) In Preussen drangen die merkantilistischen Ideen zuerst unter Friedrich Wilhelm I. ein, jedoch war es Friedrich dem Grossen vorbehalten dieses System auszubauen. Friedrich Wilhelm I. verbot die Ausfuhr von Wolle 1723. Friedrich der Grosse beschränkte die Einfuhr von gewerblichen Erzeugnissen durch hohe Schutzzölle und suchte die Ausfuhr von Rohprodukten möglichst hintenanzuhalten. Die wirtschaftliche Zersplitterung des Landes durch zahllose Zolllinien bildete jedoch ein grosses Hindernis; das Verbotssystem gelangte denn auch nur in den östlichen Provinzen zur Anwendung, während im Westen französische und englische Waren gegen mässigen Zoll eingeführt werden konnten. Zu erwähnen sind aus der Zeit Friedrich des Grossen noch das Magdeburger Transito-Zollsystem (1765–1768), das den grossen Durchfuhrhandel von Hamburg und Lüneburg nach Schlesien, Sachsen, Thüringen aus einem Fremd- in einen eigenen Handel der Magdeburger und Berliner verwandeln sollte und zum Teil sein Ziel erreichte. Ferner das schlesische Transito-Zollsystem (von 1765), das den polnisch-sächsischen Durchfuhrhandel zu einem schlesisch-preussischen machte, sowie endlich die Schliessung der ganzen Ostgrenzen für die polnische Getreideausfuhr zum inneren Konsum. Friedrich Wilhelm II. hielt noch unerschütterlich an dem merkantilistischen Handelssystem fest, während Friedrich Wilhelm III. bei seinem Regierungsantritt von den neuen freihändlerischen Ideen bereits berührt war. In den ersten Jahren seiner Regierung stand er jedoch in handelspolitischer Beziehung noch stark unter dem Einflusse seines Ministers Graf Struensee, der seine merkantilistischen Ansichten voll zur Geltung brachte. (Exposé vom 13. Februar 1803).

d) In Russland wirkte Peter der Grosse (1689–1725) und Katharina II. (1762–1796) im Sinne des Merkantilismus. Spanien und Holland wandten die Lehren des Merkantilismus besonders auf ihr Verhältnis zu den Kolonien an.

4. Die wissenschaftliche Kritik und Opposition gegen die merkantilistische Lehre durch die Physiokraten.

Schon im 17. Jahrhundert regte sich eine wissenschaftliche Kritik und Opposition gegen die merkantilistischen Anschauungen: Pierre Boisguillebert (Sur le regne présent 1697 u. Dissertation sur la nature des richesses) wendet sich energisch gegen die Ueberschätzung von Handel und Industrie gegenüber der Landwirtschaft. Ihm schloss sich der Marschall Vauban (Projet d’une dixme royal 1707) an. Der Hauptvertreter dieser Richtung, die in der Geschichte der Volkswirtschaft als „Physiokratismus“ bezeichnet wird, war François Quesnay, der besonders durch sein Tableau économique 1757 ein eigenes wissenschaftliches System aufstellte und methodisch begründete. Die Grundlage seiner Lehre ist die, dass nur die Gewerbe der Rohproduktion den Volkswohlstand zu heben vermögen. Die Tätigkeit des Handwerkers und Kaufmannes sei zwar nützlich und nicht zu entbehren, aber diese Gewerbetreibenden lieferten nicht neue Güter wie dies der Landmann vermöge der Naturkraft des Bodens könne; wohl erhöhten sie durch Arbeit den Wert der Gegenstände, aber sie verbrauchten dafür das Rohmaterial und verwendeten weitere Güter zum eigenen Unterhalt, wodurch der Wert ihrer Arbeit absorbiert werde; sie erlangten keinen Ueberschuss an Werten, keinen „produit net“, der der Landwirtschaft allein vorbehalten sei. Die Landwirtschaft aber könne nur gedeihen, wenn ihr der Vertrieb ihrer Produkte frei gegeben werde, damit sie den Preis erhielte, der den Verhältnissen entspräche. Der Kaufmann werde durch seinen eigenen Vorteil dazu gebracht die Waren dort zu kaufen, wo sie im Ueberfluss vorhanden und daher billig seien, um sie dorthin zu führen, wo Bedarf vorläge und er sie teuer verkaufen könne. Sein Privatinteresse stehe mit dem der Gesamtheit in Harmonie. Ebenso läge aber auch die Sache im internationalen Verkehr, in welchem die Staaten je nach ihren natürlichen Verhältnissen (Bodenbeschaffenheit, Klima, Grösse der anbaufähigen Fläche etc.) sich gegenseitig zu unterstützen bestimmt seien. Daher sei es die Aufgabe einer vernünftigen Regierung alle künstlichen Hemmnisse zu beseitigen, wirtschaftliche Freiheit herzustellen. Im Wirtschaftsleben walteten natürliche Gesetze genau so wie in der Entwickelung des

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/258&oldid=- (Version vom 26.9.2021)