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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

108, in Niederbayern auf 110‰ beläuft. Es wird m. a. W. mit weniger Brutto-Aufwand in der Pfalz ein fast gleicher Nettoertrag an zweijährigen Kindern erzielt wie in Niederbayern bei den dortigen grossen Volksumsätzen.

Umgekehrt qualifiziert sich der Rückgang der Geburtenziffern, insoweit er sich vollzog unter gleichzeitiger Verbesserung der Aufwuchsziffern, unter gleichzeitiger höherer Lebensfähigkeit der geborenen Kinder, als willkommener Fortschritt vom Standpunkt der physischen und wirtschaftlichen Kraft der Nation. In der Tat wachsen jetzt trotz geringerer Geburtenzahl – dank der rationeller betriebenen Säuglingsfürsorge – absolut mehr Kinder auf als früher.

So ist für das Königreich Sachsen auf Grund genauer Berechnungen festgestellt, dass beispielsweise von den 149 000 Lebendgeborenen des Jahrgangs 1903 nur 106 500 das 3. Lebensjahr überlebten, von der um 9000 Kinder kleineren Geburtenmasse (140 000) des Jahres 1908 dagegen überlebten 108 600, also 2100 Kinder mehr das 3. Lebensjahr. Analoges gilt für Bayern. Hier ergibt z. B. ein Vergleich der Jahre 1896 und 1910, die beide fast die gleich grosse Geburtenzahl hatten, folgendes Resultat:

Zahl der Lebend-
geborenen
Es überlebten das . . . Lebensjahr
1. 2. 3.
1896 215 652 165 558 157 868 155 368
1910 215 540 172 102 166 189 164 455

1910 gegen 1896 – 112 + 6 544 + 8 321 + 9 087

Auch nach der württembergischen Statistik besteht einstweilen kein Anlass zu pessimistischen Betrachtungen. Württemberg fängt lediglich an, mehr Menschen für den eigenen Gebrauch, weniger für die Ausfuhr zu produzieren, das gesteigerte Menschenangebot wird dort durch die Nachfrage nach neuen Menschenkräften nahezu aufgenommen.

Es ist also nicht angängig, die künftige Bevölkerungsentwicklung lediglich an Hand der gesunkenen Geburtenziffern zu beurteilen. Es kommt wesentlich auch auf den Grad der sinkenden Sterbeziffer, auf die zwischen Geburten- und Sterbezahl bestehende Spannung, auf das daraus resultierende Bevölkerungswachstum, sowie auf die Qualität (körperliche und geistige Beschaffenheit) des Nachwuchses an. Unter Berücksichtigung der genannten Quantitätskomponenten konstatiert die Reichsstatistik, dass die Selbsterhaltung der Nation bei der jetzigen Geburtenziffer noch reichlich gesichert ist; sie berechnet an der Hand von 10 deutschen Staaten, deren Geburtenhäufigkeit zum Teil etwas geringer ist als die für den Durchschnitt des Reichs gültige, dass die Zahl der Geborenen

1881/90 um 36,17%
1891/1900 um 44,05%
1901/10 um 41,68%

grösser war, als zur Erhaltung der Volkszahl erforderlich. Im Gegensatz dazu reichte 1898–1903 (darüber liegen Berechnungen vor) in Frankreich die durchschnittliche Zahl der Geburten nicht aus, um die Volkszahl Frankreichs auf ihrer derzeitigen Höhe zu erhalten: Es fehlten 2,47% Geburten an der zur Selbsterhaltung notwendigen Zahl.

IV. Bekämpfung des Geburtenrückgangs.

Dass gleichwohl der Erscheinung des Geburtenrückgangs nachdrücklich entgegengearbeitet werden muss, gebietet das Interesse unserer wirtschaftlichen und politischen Macht, das Interesse der nationalen Selbsterhaltung. Es wird sich darum handeln, einerseits den Rückgang der Geburtenhäufigkeit aufzuhalten oder wenigstens zu verlangsamen, anderseits die Sterbeziffer noch günstiger zu gestalten.

In ersterer Beziehung muss man von den oben erwähnten wirtschaftlichen und pathologischen Ursachen des Geburtenrückgangs ausgehen und vornehmlich nach diesen selbst, nicht etwa bloss nach den Symptomen des Geburtenrückgangs die Art der Gegenmassnahmen treffen. Gerade weil die wirtschaftlichen Momente bei der ganzen Frage so stark ins Gewicht fallen, müssen im Zeitalter

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/238&oldid=- (Version vom 22.11.2023)