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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Das Gesagte ist auch zu berücksichtigen bei Betrachtung einer weiteren bemerkenswerten Erscheinung in unserer sozialen Umschichtung, nämlich der Ausdehnung des Frauenerwerbs.

In der Statistik tritt der Frauenerwerb gegenüber der Männerarbeit bedeutend zurück. Es wurden 1907 gezählt 18,6 Millionen männliche Erwerbstätige oder 61,06% der männlichen Bevölkerung, 9,5 Millionen weibliche Erwerbstätige oder 30,37% der weiblichen Bevölkerung. In dieser Erwerbsziffer ist nicht inbegriffen die Hausfrauentätigkeit, ihre Kinderfürsorge, kurz jenes natürliche Arbeitsgebiet des weiblichen Geschlechts, das in seinem volkswirtschaftlichen Wert keineswegs hinter der anderen Erwerbstätigkeit zurücksteht. Immerhin ist eine von Zählung zu Zählung steigende Beteiligung der Frau am allgemeinen Erwerbsleben zu konstatieren:

Jahr       Weibliche Erwerbstätige
(einschl. Dienstboten)
      Prozentanteil an der weiblichen
Bevölkerung
1882 5 541 517 24,02
1895 6 578 350 24,96
1907 9 492 881 30,37

Darnach wären seit 1895 nicht weniger als 2,9 Millionen, seit 1882 fast 4 Millionen Frauen mehr in das Erwerbsleben eingetreten. Ein solcher Grad der Zunahme ist, wie schon oben angedeutet, jedoch kaum erfolgt, es handelt sich bei diesen Zahlen zum guten Teil um Verschiebungen formaler Art, die lediglich auf schärfere Erfassung der Mithilfe von Familienangehörigen beruhen, die früher in der Gruppe der Familienangehörigen gezählt wurden, jetzt in der Gruppe der Erwerbstätigen erscheinen.

Gleichwohl bleibt die tatsächliche Vermehrung der weiblichen Erwerbstätigen gross. Hauptsächlich vollzog sie sich in der Klasse der mithelfenden Familienangehörigen und in der Klasse der Arbeiterinnen:

Weibliche Erwerbstätige Zunahme bezw. Abnahme (–)
im Jahre 1907 seit 1895 seit 1882
abs. % abs. % abs. %
a Selbständige 1 197 593 12,62 26 148 2,23 118 462 10,98
b Angestellte 192 619 2,03 138 577 256,42 168 407 695,55
G Häusliche Dienstboten 1 249 383 13,16 –64 574 –4,91 –33 031 –2,58
c1 Mithelfende Familienangehörige 3 177 734 33,47 2 018 790 174,19 3 697 526 117,17
c2–5 Sonstige Arbeiterinnen 3 675 552 38,72 795 590 27,63
Zusammen 9 492 881 10000 2 914 531 44,30 3 951 364 71,30

Das Plus der mithelfenden Familienangehörigen (1895 bis 1907: 2 Millionen) entfällt vornehmlich auf die Landwirtschaft (1,8 Millionen); am Rest von 200 000 ist der Handel mehr als doppelt so stark wie die Industrie beteiligt (136 000 bezw. 55 000). Das Plus an Arbeiterinnen von rund 800 000 (1895/1907) hat fast zur Hälfte in Gewerbe und Industrie Unterkommen gefunden, im übrigen im Handel, bei Lohnarbeit wechselnder Art und ausserdem in Landwirtschaft und in freien Berufen.

Diese Vermehrung der weiblichen Erwerbsarbeit bedeutet, wie ausdrücklich erwähnt sei, nicht etwa eine Verdrängung der Männerarbeit durch Frauen. Haben doch die männlichen Erwerbstätigen 1895/1907 um über 3 Millionen zugenommen (überwiegend in der Klasse der Arbeiter bei Industrie und Handel). Die Männerarbeit stellt nach wie vor das Hauptkontingent unserer Erwerbskraft, wenn auch der Abstand zwischen den Geschlechtern sieh im Laufe der letzten Jahrzehnte abschwächte. Aber es hat sich die Erwerbsgelegenheit im ganzen, dank des Aufschwungs von Gewerbe, Handel und Verkehr, vermehrt und daran partizipieren neben den männlichen auch die weiblichen Personen und zwar letztere mit um deswillen, weil sie in der modernen (mehr auf Ordnung des Konsums als auf Produktion sich erstreckenden) Hauswirtschaft keine genügende Beschäftigung mehr finden und wegen der anspruchsvolleren Haushaltung und des teurer gewordenen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/225&oldid=- (Version vom 22.9.2021)