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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Millionen auf die im Betrieb des Mannes oder Vaters mithelfenden Familienangehörigen. Aber die verbleibenden 2,8 Millionen repräsentieren die Zunahme der sonstigen, der eigentlichen Arbeiter. Von der Gesamtheit der erwerbstätigen c-Personen („Arbeiter“) in Höhe von 19,80 Millionen sind nach der Berufszählung von 1907: 4,29 Millionen mithelfende Familienangehörige (c1-Pers.), 6,92 Millionen Gesellen und Gehilfen mit Vorbildung sowie (in der Landwirtschaft) Knechte und Mägde (c2) und 6,02 Millionen Hilfspersonen ohne Vorbildung (c3 bis c5). Die eigentliche Arbeiterschaft, also alle c-Personen mit Ausnahme von c1 (mithelfenden Familienangehörigen), umfasst 15,52 Millionen.

An der Mehrung der Lohnarbeiterschaft sind alle drei materiellen Berufszweige, Landwirtschaft, Gewerbe und Handel, beteiligt, und zwar die männliche wie die weibliche Arbeiterschaft. Nur in der Landwirtschaft ist ein Rückgang der männlichen Arbeiter, die anderen Berufen sieh zugewendet haben, zu konstatieren, während die Zunahme der weiblichen Kräfte in der Landwirtschaft wesentlich durch Familienangehörige bewirkt ist, deren Zahl – teils aus formalen Gründen, teils infolge stärkerer Heranziehung der weiblichen Familienangehörigen – sich fast verdreifacht hat.

Das verheiratete Element, das jetzt innerhalb der Arbeiterschaft, speziell innerhalb der gelernten, stärker als früher hervortritt, ist vor allem in den Beamtenbetrieben (Post, Eisenbahn, Strassenbahn usw.) und in den Gewerben mit vorherrschendem Grossbetrieb (Montan-, Maschinen-, chemische Industrie, Baugewerbe) sehr gewachsen, während der Anteil der ledigen Arbeiter in den handwerklichen und ländlichen Kleinbetrieben nach wie vor überwiegt. Diese Tatsache verdient für die Bestrebungen, die auf ein gesteigertes Familienleben innerhalb der Arbeiterschaft abzielen, besondere Beachtung.

Was die Möglichkeit des beruflichen Aufstiegs betrifft, so zeigt sich, dass, wer einmal Fabrikarbeiter ist, es im allgemeinen auch bleibt, solange ihn nicht seine Körperkräfte im Stich lassen; soweit er über diese Stellung hinauskommt, erreicht er es regelmässig in einem anderen Wirkungskreis und zumal unter anderen Betriebsverhältnissen innerhalb und ausserhalb der industriellen Tätigkeit. Die fachlich Ausgebildeten haben auf jene Selbständigkeit grössere Anwartschaft als die Ungelernten. Namentlich in den vorwiegend handwerksmässigen Betrieben und Erwerbszweigen haben sie vorzugsweise Chancen auf eigene Selbständigkeit. In grösseren fabrikmässigen Betrieben sind auch die gelernten Arbeiter ganz überwiegend auf Verbleib in Arbeiterstellung beschränkt; soweit sie sich zur Selbständigkeit emporarbeiten, ist es vorwiegend die eines kleinen gewerblichen Meisters. Diese Feststellungen sind von Belang für unsere Arbeiterpolitik, insonderheit für die Fachausbildungs-Bestrebungen. Überdies verlassen zahlreiche Arbeiter aus Industrie und Handel (ca. ein Fünftel aller in Betracht kommenden Personen) nach dem 40. Lebensjahr diesen Beruf und wenden sich der Landwirtschaft zu, von der sie vermutlich ursprünglich hergekommen sind. Sie sind da teils als Lohnarbeiter, zum grösseren Teil – dank der vorher erzielten Ersparnisse – als landwirtschaftliche Besitzer tätig.

Die Angestellten, deren Zahl in den Berufsabteilungen Landwirtschaft, Gewerbe und Handel seit 1895 von 600 000 auf 1,3 Millionen stieg, erfuhren ebenfalls grossen Zuwachs in allen drei materiellen Berufszweigen an männlichen wie an weiblichen Erwerbstätigen. Die grosse Zunahme ist die selbstverständliche Begleiterscheinung der fortschreitenden Betriebskonzentration. Letztere stellt erheblich höhere Ansprüche an die geistige Arbeit des Unternehmers, steigert also auch das Bedürfnis, die geistige Arbeit des Unternehmers durch die Tätigkeit der technisch und kaufmännisch geschulten Beamten zu ergänzen. Die grössere Verwendung von körperlicher und mechanischer Arbeitskraft verlangt daher eine grössere Menge auch von Kopfarbeitern im Betrieb. Es handelt sich bei diesen Angestellten um sozial und wirtschaftlich – im Vergleich zu den Arbeitern – in gehobener Stellung befindliche Gruppen,[1] die berufen sind, den Prinzipal zu vertreten und ihn in der Leitung des Unternehmens zu unterstützen, anderseits die Arbeiter anzustellen, zu beraten und zu führen. Es handelt sich um Personen, die durch besondere Kenntnisse, durch


  1. Von der Gruppe der Angestellten, des Verwaltungs-, Aufsichts- und Bureaupersonals im Gesamtumfang von 1,59 Millionen (1907) sind ausgeschieden als technisch gebildete Beamte, Wirtschaftsbeamte: 170 540, als Aufsichtspersonal: 272 175, als Bureau-, kaufmännisch gebildetes Verwaltungspersonal: 322 734.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/221&oldid=- (Version vom 21.9.2021)