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Gemeinde- und Bezirksangelegenheit; von dem Betrieb werden Schulwesen, Steuerkraft, Bevölkerungszu- und -abnahme, Wohlstand und Verarmung der ganzen Gegend, Art der Siedelung und Grundeigentumsverteilung beeinflusst. Diese von G. Schmoller betonte volkswirtschaftliche Bedeutung kommt mehr oder minder allen grösseren Unternehmungen zu, namentlich aber den erwähnten Riesenunternehmungen; bei ihnen tritt der öffentliche gemeindeähnliche Charakter ganz besonders deutlich hervor.

Unterstützt wurde diese Entfaltung unserer Gewerbetätigkeit, insbesondere unseres grossindustriellen Gewerbefleisses durch die Ausbildung des modernen Verkehrs, den die Zahlen S. 202 veranschaulichen. (Tabelle: Deutscher Binnen- und Seeverkehr).

Für alle Verkehrsarten brachten die letzten Jahrzehnte eine bedeutsame Vermehrung, Verbesserung und Verbilligung der Verkehrseinrichtungen. Die Transportverbesserungen hatten eine gewaltige Steigerung des Verkehrs auf fast allen seinen Gebieten zur Folge und übten kraft ihres eminent produktiven Charakters, der speziell der von ihnen bewirkten Verkürzung von Raum- und Zeitdistanz zukommt, auf das ganze Wirtschaftsleben, die Gütererzeugung, auf Handel und Verbrauch den nachhaltigsten Einfluss aus. Der Bezug von auswärtigen, auch ausländischen Rohstoffen, die Übernahme von Aufträgen durch und die Lieferung an ausserhalb des Betriebssitzes vorhandene Auftraggeber wurde erleichtert, der Markt für gewerbliche Einkäufe oder Verkäufe erfuhr erhebliche Erweiterung. Viele Gewerbezweige konnten ihre frühere, mehr lokale Bedeutung mit einer nationalen oder auch internationalen vertauschen. Natürlich wurde der Verkehr seinerseits wieder stark belebt und befruchtet durch unsere industrielle Entwicklung, namentlich durch Entwicklung der Kohlen- und Eisenindustrie, durch die inländische Kohlen- und Eisenproduktion, ohne die die grossen Maschinen zur Bewältigung der Massenfabrikation und des heutigen Verkehrs überhaupt nicht möglich wären.

Mit dem gewerblichen Aufschwung war gleichzeitig Hebung unseres Volkswohlstandes, unserer Finanz- und Steuerkraft verbunden, so dass reiche und immer reichere Mittel zur Pflege und Förderung der einzelnen Kulturaufgaben auf dem Gebiete der geistigen und sittlichen Bildung, auf dem Gebiete von Wissenschaft und Kunst, Gesundheitspflege, Wehrkraft, namentlich auch auf weiten Gebieten der Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik zur Verfügung gestellt werden konnten.

Aus dem Gesagten ergibt sich zugleich die Erklärung, dass neben den drei materiellen Berufszweigen auch die Berufsabteilung des öffentlichen Dienstes und der freien Berufsarten im Lauf der letzten Jahrzehnte ihre Bedeutung verstärkt hat: Von 1882 auf 1907 von 2,2 Millionen auf 3,4 Millionen oder von 4,92% auf 5,53%. Diese Zunahme hat ihren Grund in den immer weiter um sich greifenden Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, im steigenden Bedarf an Kulturgütern und Dienstleistungen (Schule, Unterricht, Kunst, Wissenschaft, ärztliche Hilfe) sowie in der Erhöhung des Wehrbedarfs.

VI. Soziale Umschichtung des Volkes.

Hand in Hand mit der vorgeschilderten wirtschaftlichen Umschichtung vollzog sich eine soziale Umschichtung.

Diese Entwicklung wird gekennzeichnet durch Verstärkung der Lohnarbeiterschicht und des verheirateten Elements in derselben, durch Aufkommen einer neuen Mittelklasse in der Kategorie der Angestellten (kleine und mittlere Beamte des öffentlichen und des Privatdienstes), durch Abnahme der Selbständigen, durch vermehrte Beteiligung der Frau am Erwerbsleben, insbesondere am Lohnerwerb. (Siehe Tabelle S. 204.)

Wie aus dieser Tabelle erhellt, die die soziale Gliederung der Erwerbstätigen für das Jahr 1907 und 1895 veranschaulicht, so stellte zu der Zunahme der Erwerbstätigen, die in der Zeit 1895/1907 6 Millionen betrug, die Arbeiterklasse allein 5 Millionen. Allerdings treffen – mehr aus formalstatistischen wie aus tatsächlichen Gründen – von den 5 Millionen 2,2

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/219&oldid=- (Version vom 21.9.2021)