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Schulstube für das Ausland spielte; die 6 bis 7 Mill. deutschen Auswanderer im 19. Jahrhundert kosteten dem Heimatland 6–8 Milliarden Mk. an unvergoltenen Erziehungskosten, an mitgenommenem Kapital. Der Verlust, den durch diese Abwanderung die deutsche Volkswirtschaft erlitt, war doppelt empfindlich, weil die Ausgewanderten, wie erwähnt, vielfach in der 2. Generation aufhörten, Deutsche und Konsumenten deutscher Ware zu sein, statt dessen Kulturdünger für andere mit uns im Wettbewerb befindliche Völker wurden und zur Erschwerung unserer Stellung auf dem Weltmärkte beitrugen.

Umgekehrt in der Neuzeit. Die Einigung des Reichs, sein wirtschaftlicher Aufschwung, seine Ausbildung zur Weltmacht und zum Welthandelsstaat, sein wirksames auf achtunggebietende Land- und Seemacht gestütztes Auftreten nach aussen, unsere Stellung im Rat der Völker hat das Ansehen des deutschen Namens im Ausland und damit zugleich das Selbstbewusstsein unseres Auslandsdeutschtums bedeutsam gehoben. Das Ausland selbst begrüsst die deutsche Zuwanderung vielfach geradezu als hervorragendes Heilmittel gegen wirtschaftliche Rückständigkeit und gegen politische Gefahren und Krankheiten, als ein Element des Fortschritts und der ruhigen Ordnung zugleich. Vom Standpunkt Deutschlands sind die Deutschen draussen – wenn auch staatsrechtlich ausgeschieden –, diese deutschen Menschenkolonien unter fremder Herrschaft, wichtige Vorkämpfer und Bahnbrecher unserer Wirtschaftsinteressen, sie ebnen den Weg für lohnende Arbeit des deutschen Kapitals in ausländischer Landwirtschaft und Industrie und sind wertvolle Pioniere für unsern Handel. Von der Haltung und Gesinnung der Auslandsdeutschen hängt wesentlich die Kulturstellung des deutschen Volks ab, die Verbreitung seiner Sprache, die Wirkung seiner Wissenschaft, Literatur und Kunst – kulturelle Errungenschaften, die sich ebenfalls in wirtschaftliche Vorteile umsetzen. So sind denn auch unsere Auslandsdeutschen dem Reich ganz namhafte Hilfe in seiner bei unserem Kräfte-Überschuss (an Menschen und sonstigen Kapitalien) immer vitaler werdenden Aufgabe, unsere nationalen und wirtschaftlichen Interessen auch im Weg der Expansion wahrzunehmen.

Alles in allem bildet mithin das Deutschtum im Auslande, die Wanderungsbilanz, die Deutschland im internationalen Bevölkerungsverkehr aufweist, einen eminent wichtigen Posten in unserer Zahlungsbilanz gegenüber dem Auslande. Bekanntlich kommt diese keineswegs in der blossen Handelsbilanz richtig zum Ausdruck, vielmehr erst in der Abgleichung aller Elemente internationaler Wertübertragungen, wie des Zahlungsmittel-, des Kreditwesens, des Verkehrswesens (Schiffahrt und Eisenbahn) und auch der Wanderbewegung. Dieser letztere Posten fällt neben den Kapitalien, die wir dem Auslande zur Verfügung stellen, um so vorteilhafter für uns in die Wagschale, je mehr es uns gelingt, zu verhindern, dass die abgewanderten Deutschen dem Mutterlande dauernd verloren gehen. Und darum mag die Abwanderung definitiven, kolonisatorischen oder nur temporären Charakter haben, auf alle Fälle müssen die Beziehungen dieser unserer fremdländischen Menschenkolonien zur Heimat rege erhalten werden. Darum zielbewusste Stärkung der nationalen Widerstandskraft des Deutschtums, eifrige Pflege deutscher Sprache, deutschen Geistes, deutscher Sitte, deutscher Staatsangehörigkeit, kräftiger diplomatischer, konsularischer, maritimer Schutz der deutschen Interessen im Ausland! Was bisher zur Sicherung und Pflege des Auslandsdeutschtums von der Reichsregierung geschah im Weg der Auswandererfürsorge, Erleichterung der Überseeverbindungen, Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes, namentlich im Weg der Förderung der Auslandsschulen, muss in erhöhtem Masse fortgesetzt werden; insbesondere bedarf auch die deutsche Presse und der deutsche Film im Ausland sowie die ausländische Presse und der ausländische Film bezüglich deutscher Verhältnisse weit besserer Bedienung als seither. Daneben muss in der Jugendleitung des nachwachsenden Geschlechts gebessert werden, was bei der Erziehung früherer Geschlechter versäumt wurde, es muss schon in unseren Schulen (nach dem Vorbild von Sachsen und Württemberg) das Verständnis und die rechte Schätzung des eigenen Volkstums auf breiterer Grundlage als bisher gepflegt werden, insonderheit durch eine tiefer greifende Belehrung über das Auslandsdeutschtum und seine rühmlichen Leistungen.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 184. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/200&oldid=- (Version vom 17.9.2021)