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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Haltung zu stehen schien, die die Regierung im Verein mit ihnen in der Konfliktszeit eingenommen hatte. Es kam jetzt auch zu einer Abspaltung von der Partei: in der ersten Session des am 3. Juli 1866 gewählten Landtags trennte sich von der konservativen Fraktion eine Gruppe von Abgeordneten, um die freikonservative Fraktion zu bilden (die übrigens auch mancherlei Zuzug von den Liberalen erhielt).[1] Das Hauptmotiv der Bildung der freikonservativen Partei ist in der damaligen offiziellen Erklärung ausgesprochen, „dass auch die konservative Partei im Lande sich auf den Boden der Verfassung stellen müsse, deren Bestand bei weiterer Fortdauer des Konflikts, mochte dieser auch wesentlich durch die Schuld der Fortschrittspartei herbeigeführt sein, immerhin in Frage gestellt schien“. Als ihre besondere Aufgabe betrachteten die Freikonservativen die Unterstützung der Politik Bismarcks und, im Zusammenhang damit, die Herbeiführung eines Zusammenarbeitens von Konservativen und gemässigten Liberalen. Im Winter 1867 bildete sich auch im konstituierenden Reichstag eine freikonservative Fraktion, die weiterhin den Namen „Reichspartei“ annahm. Aber diese Veränderungen in der Stellung der alten Konservativen zur Regierung waren noch nicht gerade erheblich. Sie arbeiteten mit ihr bis zur Reichsgründung durchaus zusammen. Dagegen brachte der Kulturkampf eine wirkliche Entfremdung zwischen ihnen. Nicht bloss die einzelnen Kulturkampfgesetze und diese nicht einmal in erster Linie, sondern vor allem der Geist, in dem der Kulturkampf von den Liberalen geführt wurde,[2] und überhaupt die allgemeinen Tendenzen dieser Blütezeit des Liberalismus wurden von den Konservativen verurteilt. Zwar stellten sie sich auch jetzt nicht übereinstimmend zur Regierung. Abgesehen von den Freikonservativen, die die Politik Falks vollkommen unterstützten, bildeten sich im preussischen Abgeordnetenhaus die Gruppen der „Altkonservativen“ und der „Neukonservativen“, deren Unterschied darin begründet war, dass die letzteren die Fühlung mit dem Kanzler nicht verlieren wollten. Doch waren beide Richtungen in der Abneigung gegen den Geist des Kulturkampfs, durch den auch die protestantische Kirche in Mitleidenschaft gezogen wurde, und gegen das Manchestertum einig. Einmal kam es in jener Zeit zu einem heftigen Zusammenstoss zwischen Bismarck und den Konservativen (freilich nicht der Partei als solcher): durch die Äraartikel der Kreuzzeitung. Es ist ein eigentümliches Spiel der Geschichte, dass diese Artikel, die Bismarck so sehr erregten und gegen die damaligen Konservativen einnahmen, sachlich mit dazu gedient haben, eine Stimmung für seine spätere Wirtschaftspolitik vorzubereiten, wie denn auch der Verfasser der Äraartikel, Perrot, später als konservativer Reichstagsabgeordneter die Bismarcksche Politik unterstützt hat. Die Artikel richteten sich gegen die manchesterlich-börsenfreundlichen Minister Delbrück und Camphausen und fügten ausserdem törichterweise eine Spitze gegen Bismarck hinzu. Dieser aber hat jene Minister nachher selbst abgeschüttelt.

Wie hiermit schon angedeutet wird, fand bald wieder eine Annäherung zwischen Bismarck und den Konservativen statt. Eingeleitet wird sie durch die Gründung der „Deutschkonservativen“ Partei im J. 1876. Wenn diese auch nicht um der Annäherung willen erfolgte, so trug doch die dadurch bewirkte Kräftigung der Konservativen dazu bei, später die Bismarcksche Politik zu stützen. In der „Deutschkonservativen Partei“ vereinigten sich wieder Alt- und Neukonservative. Das Programm („Der Aufruf“) von 1876 fordert „die Stärkung und den Ausbau der für unser Vaterland gewonnenen Einheit auf dem Boden der Reichsverfassung in nationalem Sinne“, daneben die „Wahrung der berechtigten Selbständigkeit und Eigenart der einzelnen Staaten, Provinzen und Stämme“. Der Kulturkampf wird als „ein Unglück für Reich und Volk“ bezeichnet, jedoch dem Staat das „Recht zuerkannt, kraft seiner Souveränetät sein Verhältnis zur Kirche zu ordnen“; „wir werden die Staatsgewalt den entgegenstehenden Ansprüchen der römischen Kurie gegenüber unterstützen“. Endlich wird die Bekämpfung des Manchestertums verlangt und es für „Pflicht“ erklärt, „den Ausschreitungen der sozialistischen Irrlehren entgegenzutreten“.


  1. Der Gründungstag ist der 29. Juli 1866. Vgl. Wolfstieg, die Anfänge der Freikonservativen Partei, in: Delbrück-Festschrift (Berlin 1908). S. 313 ff.
  2. Zur Charakteristik dieses Geistes vgl. J. v. Eckardt, Lebenserinnerungen I, S. 147. Zu dem damals viel zitierten Wort der Nationalzeitung: „Es ist eine Lust zu leben; heutzutage kann man ausserhalb des Schattens der Kirche leben und sterben“ vgl. Archiv f. Kulturgeschichte Bd. 8, S. 327 und 468; D. v. Örtzen, Adolf Stöcker I, S. 108.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/20&oldid=- (Version vom 29.8.2021)