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Risikoprämie bei Dividendenwerten immer mehr zurücktreten, bezw. in den hohen Dividenden einen genügenden Risikoersatz finden. So wurden die festverzinslichen Werte immer mehr durch die Dividendenwerte verdrängt.

Auch in sekundärer Weise muss eine wirtschaftliche Hochkonjunktur die Staatspapierkurse nachteilig beeinflussen.

Die mit wirtschaftlicher Hochkonjunktur meist Hand in Hand gehende stärkere Bevölkerungszunahme, die Steigerung des gesamten Staats- und Gemeindebedarfs, die zunehmende Bautätigkeit und damit Belebung und Inanspruchnahme des Hypotheken- und Pfandbriefmarktes, die mit der gesteigerten Weltwirtschaftskonjunktur in engstem Zusammenhange stehende Steigerung des Anleihebedarfs der produzierenden, am Weltmarkt von Jahr zu Jahr mehr beteiligten auswärtigen Länder, all diese Folgen und Begleiterscheinungen einer Hochkonjunktur zeigen deutlich an, dass dieselbe in letzter Linie auch für mehrere der schon behandelten Vorgänge und Ursachen (Nr. 7 und 9) zum grossen Teile mit verantwortlich zu machen ist.

Als weitere indirekte Folge der wirtschaftlichen Hochkonjunkturperiode ist die Steigerung der Lebens- und Genussmittelpreise und vieler Gebrauchswaren anzusehen, die in manchen Ländern noch durch erhöhte Schutzzölle weitere Steigerungstendenz erfuhren. Dies hat die allgemeine Lebenshaltung sehr verteuert, und die Bevölkerungskreise, welche für ihre Lebensführung ganz oder teilweise auf Zinserträge angewiesen sind, haben stellenweise geradezu gezwungenermassen den ertragreicheren, wenn auch weniger sicheren vor den sicheren aber niedrigverzinslichen Werten den Vorzug gegeben.

Auch a posteriori, in induktiver Weise lässt sich nachweisen, dass die intensive Wirtschaftstätigkeit der weitaus wichtigste Grund für den Kursrückgang unserer, der englischen pp. Staatspapiere, ja der fest, aber niedrig verzinslichen Werte überhaupt gewesen ist.

Vergleicht man nämlich (wie es in unserer Sonderbroschüre unter Beifügung von mehreren Diagrammen geschehen ist) die Entwicklungslinien der Jahresemissionen, des Aussenhandels und des Bankdiskonts, die für das Auf und Ab des Wirtschaftslebens eine Art Thermometer bilden, mit dem Verlauf der Kurse der Staatspapiere, so tritt der Zusammenhang der Kursentwickelung mit der Wirtschaftskonjunktur in auffälligste Weise zutage.

B. Beurteilung der Bedeutung der Kursrückgänge vom Standpunkt des kreditsuchenden Staates und der Staatsgläubiger.

Mit den vorangeführten Ursachen ist die Aufzählung aller Gründe, welche einen Kursrückgang der Staatsfonds herbeigeführt haben oder herbeiführen können, natürlich nicht erschöpft. Von Kursstürzen im Kriegsfälle ist ganz abgesehen worden. Aber auch Kriegsbefürchtungen (Marokkowirren, Balkankriege) können den Rentenkurs stark beeinflussen. Ebenso können Positionslösungen infolge grosser Bankbrüche (Birkbeckbank) oder von Ultimo- und Quartalsliquidationen, wie wir es im September 1911 und 1912 in ziemlich augenfälliger Weise an unseren und anderen Börsen beobachten konnten, eine herabdrückende Wirkung haben. Hier pflegt es sich aber stets mehr um Ursachen vorübergehender Natur zu handeln.

Dagegen dürften die nachhaltigeren und ständigen Ursachen des Kursrückganges unserer Reichs- und Staatsanleihen und zugleich das Mass ihrer Stärke und Bedeutung in Vorstehendem vollständig dargelegt sein. Nach ihrem Ergebnis können wir die vielfach aufgeworfene Frage: ob der Staatskredit in den letzten anderthalb Dezennien bei uns in seinem Innersten gelitten habe, und ob etwa aus dem starken Rückgange der Kurse der Staatspapiere die Besorgnis hergeleitet werden könne, wir möchten nicht in der Lage sein, im Falle der Not und bei kriegerischen Verwickelungen uns die erforderlichen Anleihemittel zu beschaffen, nur glatt verneinen. Denn keine der behandelten Ursachen hat irgend etwas mit verminderter Bewertung unserer staatlichen Kreditfähigkeit zu tun.

In der Tat wird – abgesehen von Kriegszeiten – sowohl bei uns wie in England, Österreich oder Frankreich selten jemand aus Zweifeln an der Sicherheit des Staatskredits sich seines

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/187&oldid=- (Version vom 16.9.2021)