Seite:Handbuch der Politik Band 2.pdf/184

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

durch Gewinnrücklagen zu stärken, um denselben auch in schweren und Verlustzeiten einen festen Rückhalt zu verleihen. Daraus allein lässt sich die Notwendigkeit absolutester Liquidität für diesen Reservefonds, die natürlich auf Kosten seiner Ertragsfähigkeit gehen müsste, offenbar noch nicht ableiten. Denn Verluste brauchen in einem Geschäfte nur ausnahmsweise in bar beglichen zu werden, in der Regel geschieht dies durch Abschreibungen, d. h. Verminderung des Wertansatzes der Aktiven. Wünschenswert wird die Anlage eines grösseren Teiles der Reservefonds unserer Aktiengesellschaften insbesondere auch der Grossbanken immer bleiben, und namentlich die Aktionäre und Aufsichtsräte sollten in dieser Richtung ihren Einfluss geltend machen, aber schematischer Zwang ist zu widerraten.

6. Tilgung und Tilgungsformen.

Nicht minder wichtig, als die vorgedachten Massnahmen, ist die Herbeiführung einer Nachfrage im richtigen Augenblick, d. h. dann, wenn, wie das gerade bei uns öfters vorzukommen pflegt, schon verhältnismässig kleine Beträge oder auf vorübergehenden Zufälligkeiten beruhende Verkäufe wegen Mangels an Käufern den Kurs erheblich gefährden können.

Mit zu diesem Zwecke ist bekanntlich das Grundkapital der Seehandlung vor einigen Jahren von 33 auf 100 Mill. Mk. erhöht worden, und es haben mehrfach Interventionskäufe nicht ohne Erfolg stattgefunden. Der Jahresumsatz in Reichs- und Staatsanleihen beläuft sich auf etwa 1 Milliarde Mk. In 1908 hat die Seehandlung 176, 1909 197, 1910 78, 1911 54 und 1912 71 Millionen Mark zurückgekauft.

Neuerdings hat man vielfach die langjährige Übung der Preussischen und Reichsregierung, die Tilgungssummen zur Verrechnung auf bewilligte Kredite, statt zum Ankauf von Staatspapieren und damit zur Steigerung der ständigen Nachfrage nach solchen zu verwenden, nicht ganz ohne Grund angefochten. Doch wird die Wirkung derartiger Massnahmen etwas überschätzt. (Näheres in der Sonderbroschüre S. 23 ff.)

7. Schuldvermehrung.

Eine starke Vermehrung der Staatsschuld, also ein starkes Angebot von Staatspapieren für längere Zeit muss kursdrückend wirken. Bei über 20 Milliarden Mk. Reichs- und Staatsschulden in Deutschland werden natürlich einige 100 Millionen Mark Neuemissionen eine solche Wirkung noch nicht haben. Aber wenn, wie es bei uns in dem letzten Dezennium der Fall war, Reich und Staaten alljährlich mit vielen Hunderten Millionen, stellenweise sogar mit die Milliarde überschreitenden Neuemissionen an den Markt kommen, so muss die Klassierung erschwert, der Kurs gedrückt werden. Selbst für ein so reiches Land wie England hat die plötzliche Neuemission innerhalb weniger Jahre von 3½ Milliarden Mark aus Anlass des Burenkrieges dem Markte erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Auch in Frankreich sind die Neuemissionen anlässlich des Ankaufs der Westbahn nicht spurlos an dem Kursstande der Rente vorübergegangen.

Ausser in Deutschland hat auch in Österreich-Ungarn die grosse Schuldenvermehrung des letzten Jahrzehntes zweifelsohne die Rentenkurse besonders ungünstig beeinflusst.

Dass man bei uns neuerdings, namentlich im Reiche ernstlich bestrebt ist, ein langsameres Tempo in der Schuldenvermehrung eintreten zu lassen, verdient daher vollste Anerkennung. In Preussen ist es namentlich der weitere Ausbau des Eisenbahnnetzes, der fortwährende Neuemissionen nötig machte.

8. Konkurrenz einheimischer, festverzinslicher Werte.

Eine starke Beeinflussung des Anlagemarktes der Staatspapiere kann auch durch Vorgänge auf dem Markte anderer sicherer, niedrigverzinslicher inländischer Werte, wie auf dem Pfandbrief-, dem städtischen Anleihemarkt usw. stattfinden. Ein starkes Angebot auf diesen Märkten, wie auch eine starke Nachfrage, wenn letztere auf Kosten der Nachfrage nach Staatspapieren erfolgt, kann den Kurs der letzteren nachteilig beeinflussen.

In Deutschland ist es namentlich die mit dem guten Grundbuch- und Hypothekenrechte zusammenhängende Mobilisierung des Grundbesitzes, welche durch starke Hypothekenbelastung

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/184&oldid=- (Version vom 16.9.2021)