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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

grössere oder geringere Einfluss der Organisationen in der Presse und im Parlament zum Siege führen.

Allein auch den Fall gesetzt, dass die Steuergesetze so gerecht wie möglich gestaltet, die Lasten auf das gleichmässigste verteilt seien, so ist immer noch keine Garantie gegeben, dass die Gerechtigkeit nicht durch Vorgänge, die jenseits des staatlichen Willens gelegen sind, wieder beeinträchtigt werde. Wir denken vor allem an den Komplex von Vorgängen, den man als Überwälzung zu bezeichnen pflegt, und an die widerrechtliche Entlastung durch irrige Einschätzungen und falsche Selbstangaben. Was die Über- und Abwälzungen betrifft, so sind wir in der Erkenntnis ihrer Tragweite heute nicht viel weiter als zur Zeit der klassischen Nationalökonomie; wir vermuten und behaupten sie mehr, denn dass wir sie im einzelnen beweisen könnten. Wir vermuten in vielen Fällen, dass der Gewerbetreibende die Steuer unter die Produktionskosten rechne, der Hausbesitzer sie auf die Miete schlage, dass die Arbeiter die Belastung des notwendigen Lebensunterhaltes durch Erzwingen höherer Löhne ausgleichen. Aber ob und in welchem Umfange dies geschieht, hat noch niemand einwandfrei erwiesen. Und doch ist klar, dass solche Vorgänge die Steuerlasten völlig verschieben, ungerechte Lasten ausgleichen, aber auch die Ungleichheit vermehren können. Es wäre eine dankenswerte Aufgabe der Wissenschaft, das Problem durch sorgfältige Untersuchungen aufzuhellen. Eine volle Klarheit wird freilich niemals zu erzielen sein, weil sich Steuerüberwälzungen nur zu leicht mit anderen Preisbewegungen vermischen und von diesen nicht losgelöst werden können. Leichter erscheint die Bekämpfung der widerrechtlichen Entlastung einzelner von den Steuern durch irrige Einschätzungen und falsche Selbstangaben. Dass die letzteren auch heute noch, obwohl die Verhältnisse besser geworden sind, in erheblichem Umfange bestehen, bedarf keines Beweises. Man betrachte nur die Veröffentlichungen des preussischen Finanzministeriums über die Ergebnisse des Beanstandungsverfahrens, wonach z. B. 1908 23,7 Proz. aller Steuererklärungen berichtigt werden mussten und ein Mehr an Einkommen von 330 Millionen, ein Mehr an Steuern von 11 Mill. M. erzielt wurde. Leider wendet die Volksvertretung der Verbesserung der Veranlagungstechnik zu wenig Aufmerksamkeit oder zu wenig Verständnis zu. Man spricht lieber von den Mängeln der Steuerverwaltung als von den Mitteln, welche den Schutz des ehrlichen Steuerzahlers gegen den unehrlichen zu bewirken geeignet wären. Eine Verschärfung des Steuerstrafrechtes und die Schaffung von Garantien gegen die Unmoral im Steuerbekenntniswesen erscheinen uns als wichtige Postulate künftiger Steuerreformen.



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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 142. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/158&oldid=- (Version vom 14.9.2021)