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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Progression weiter zu führen, die Besitzsteuern, Vermögens- und Erbschaftssteuern zu grösserer Ergiebigkeit zu bringen. Auch das Gebiet der Verkehrssteuern lässt sich noch erweitern. Sollte eine weitere Anspannung der Verbrauchsbesteuerung sich als unabwendbar erweisen, so könnte sie sich nur auf eigentliche Genuss- und Reizmittel beziehen oder Gegenstände eines aus dem freien Einkommen zu bestreitenden Aufwandes ergreifen, wobei nach Möglichkeit auch hier durch Abstufung der Steuersätze nach der Qualität der mutmasslichen Leistungsfähigkeit der Verbraucher Rechnung zu tragen wäre.

Der umstrittenste Punkt der Reichsfinanzreform von 1909 war die Frage der Ausgestaltung der Reichserbschaftssteuer, insbesondere der Erstreckung der Steuer auf Ehegatten und Abkömmlinge. Es ist nur aus Gründen, die steuerpolitischen Erwägungen gänzlich ferne stehen, zu erklären, dass sich hiergegen in den Debatten des Reichstages eine so heftige Opposition erhob und dass die Tatsache bei der Mehrheit der Volksvertretung unbeachtet blieb, dass derjenige, der ein Vermögen erbt, im Daseinskämpfe ganz anders dasteht als derjenige, dem nichts hinterlassen wurde. Dass es sich dabei um eine mühelose, nicht selbsterworbene Bereicherung handelt, hätte doch auch bei Beurteilung der Besteuerung der Abkömmlinge und teilweise auch der Ehegatten Berücksichtigung finden sollen. Zudem sollten ja nach dem Entwurf der Regierung Erbportionen bis zu einer gewissen Höhe von der Steuer befreit bleiben. Die gegen die Besteuerung der Abkömmlinge und Ehegatten entfesselte Agitation, die Denunzierung derselben als „Witwen- und Waisenbesteuerung“ als „Totengräberin des deutschen Familiensinnes“ haben keine Beweiskraft gegenüber der Tatsache, dass sie nicht nur England, Frankreich, Österreich und die meisten anderen europäischen Staaten, sondern auch Elsass-Lothringen, Hamburg, Bremen und Lübeck seit längerer Zeit betätigen. Jetzt ist die Besteuerung der Abkömmlinge und teilweise auch der Ehegatten für die aus Erbschaften stammende Bereicherung auf dem Umwege des neuen Besitzsteuergesetzes doch zur Verwirklichung gelangt (s. darüber 39. Abschnitt.)

Bei Gelegenheit der Reichsfinanzreform von 1909 und auch früher schon ist von verschiedenen Seiten, namentlich von der Sozialdemokratie und den linksstehenden Parteien, die Forderung vertreten worden, den Bedarf des Reiches zum Teil durch eine Reichseinkommen- oder Reichsvermögenssteuer zu decken. Die Reichsregierung hat sich aber solchen Plänen gegenüber bis zu diesem Jahre (1913) ablehnend verhalten. An sich haben Reichseinkommen- oder Vermögenssteuern sicher vor den Verbrauchssteuern manches voraus: sie sind vor allem in ihren Erträgnissen weit weniger von Zufällen abhängig als diese, sie können mit sicherem Erfolge erhöht und viel besser nach der Leistungsfähigkeit verteilt werden. Das Recht des Reiches, sich ihrer zu bemächtigen, kann ebensowenig bestritten werden wie ihre technische Durchführbarkeit. Gleichwohl wird man es billigen müssen, wenn das Reich bisher gezögert hat, sie für sich in Anspruch zu nehmen. Die von übereifrigen Anhängern der Reichseinkommensteuer vertretene Idee, diese an Stelle der einzelstaatlichen Einkommensteuern treten zu lassen und die Einzelstaaten auf Zuschläge anzuweisen, würde diese, wie Laband sagt, finanziell auf die Stufe von Provinzial- und Kommunalverbänden herabdrücken. Auch würde die Aufstellung eines Tarifs, der zugleich den Bedürfnissen der Einzelstaaten gerecht werden müsste, wegen der verschiedenen Wohlstandsverhältnisse, der verschiedenen Höhe des Bedarfs, der Verschiedenheit der staatlichen und kommunalen Steuersysteme in den Einzelstaaten auf unüberwindliche Hindernisse stossen. Reichseinkommen- oder Vermögenssteuer könnten nur als selbständige Steuern neben den Landessteuern mit eigenem Tarif, eigener Veranlagung usw. zur Einführung kommen. Dass auch in diesem Falle schwere Bedenken bestehen, ist von Laband, G. v. Mayr, Köppe u. a. eingehend begründet worden. Nun haben aber die neuerlichen grossen Rüstungsausgaben, deren Notwendigkeit von der Volksvertretung anerkannt wurde, doch dazu geführt, in dem Wehrbeitrag und der Besitzsteuer Vermögen und Einkommen zugunsten des Reiches unmittelbar zur Tragung der Lasten heranzuziehen. Da aber die Reichssteuergesetze vom 3. Juli 1913 an anderer Stelle gesondert dargestellt und in ihren Wirkungen beurteilt werden sollen, so begnügen wir uns hier damit, diese Tatsache festzustellen.

Dass die einmal bestehenden Verbrauchs- und Aufwandsteuern, auch wenn sie prinzipiell so anfechtbar sind wie die Salz- oder die Zündholzsteuer, beibehalten werden, dürfte sich als Gebot

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/153&oldid=- (Version vom 14.9.2021)