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es bei den Einkommensteuern (staatlichen, kommunalen und kirchlichen). Hier findet Gerloff bei Einkommen von unter 800 M. eine Belastung mit 1,2 Proz., die dann in den eben erwähnten Stufen bis 10 000 M. Einkommen auf 1,8, 3,8, 4,8, 6,8 und 8,5 Proz. steigt, bei 30 000 M. 9, bei 50 000 11, bei 100 000 11,5, bei 200 000 12,0 Proz. erreicht. Die Gesamtbelastung mit den erwähnten Abgaben würde demnach für die bezeichneten Einkommensgrössen mit 5,6 Proz. beginnen und bei 200 000 M. Einkommen 13 Proz. erreichen. Werden noch die Vermögenssteuern hinzugenommen, so ergibt sich eine Skala, die mit 6 Proz. bei 1000 M. Einkommen beginnt und bei 200 000 M. 14,5 Proz. ausmacht. Darnach ergäbe sich also eine stark umgekehrt progressive Belastung der untern und mittleren Klassen durch Zölle und inländische Verbrauchssteuern, aber freilich eine noch stärkere progressive Besteuerung der wohlhabenden und reichen Klassen durch die Einkommen- und Vermögenssteuern. Und das Bild würde noch günstiger im Sinne einer progressiven Gesamtbelastung ausfallen, wenn auch die Erbschafts- und die Verkehrssteuern in die Berechnung einbezogen würden. Zu einer optimistischen Auffassung dürfen aber diese Zahlen, wie A. Wagner betont, keineswegs verleiten. Denn es drängt sich sofort die Frage auf, ob die Steuer wirklich gerecht, der Leistungsfähigkeit angepasst ist, ob sie wirklich ein gleiches Opfer bedeutet, wenn sie bei Einkommen von 1000 M. 6,0–8,0 und bei solchen von 100 000 M. 14,5 Proz. beträgt. Im ersten Falle wird den Einkommen um 60–80 M. gekürzt, im zweiten Falle um 14 500 M., aber im ersten Falle bleiben dann nur mehr 940–920 M. übrig, im zweiten bleiben immer noch 85 500M. Den Arbeiter mit 1000 M. Einkommen wird der Abzug von 60–80 M. schwerer treffen, als den Millionär mit 100 000 M. Rente der Abzug von 14 500 M. Der erstere muss sich in der Befriedigung eines notwendigen Bedürfnisses einschränken, der zweite braucht nur auf einen Luxuskonsum zu verzichten. A. Wagner stellt an der Hand solcher Erwägungen, mit denen eben die Notwendigkeit einer progressiven Besteuerung begründet wird, und unter Zugrundelegung der Gerloff’schen Zahlen Berechnungen darüber an, wie sich die Belastung der einzelnen Einkommensklassen zu einander verhält, wenn die Steuerquoten nur auf das das Existenzminimum (von 800 M.) überragende Einkommen angerechnet werden. Dabei ergibt sich natürlich, dass bei einem Einkommen von 1000 M. und bei einem „freien“ Einkommen von 200 (1000–800) M. die Steuer 30–40 bei einem Einkommen von 100 000 M. dagegen und einem freien Einkommen von 99 200M. nur 14,1 Proz. beansprucht. Solche Berechnungen haben aber wie Wagner selbst am wenigsten verkennt, nur einen bedingten Wert. Immerhin lassen sie das Schlussurteil gerechtfertigt erscheinen, das A. Wagner darüber mit folgenden Worten abgibt: „Die Mittelschicht, namentlich von der mittleren Stufe, 10 000 M. Gesamteinkommen, an, und vollends die Oberschicht und natürlich am meisten deren beide oberen Stufen können bei den hier angenommenen Zahlenverhältnissen ihre ganze Lebensführung weit bequemer, schliesslich schon völlig reichlich gestalten, in der Sphäre der materiellen Bedürfnisse und auch in derjenigen der geistigen, ästhetischen, der Kulturbedürfnisse, und doch bleibt ihnen dabei noch so viel mehr freies Einkommen als der Unterschicht und zumal den beiden untersten Stufen, um ihre Lebenshaltung immer noch reichlicher zu gestalten, auch immer noch mehr und leichter aus dem verbleibenden freien Einkommen Kapitalisierungen vornehmen zu können und von der Besteuerung viel weniger hoch getroffen, dem Gefühl des Druckes und des Opfers, welches die Besteuerung verursacht, viel weniger schwer unterworfen zu werden“.

III.

Indem wir uns schliesslich der Frage zuwenden, in welcher Richtung sich die Steuerreformen der nächsten Zeit in Deutschland zu bewegen haben werden, glauben wir in den Erörterungen des zweiten Abschnittes die Grundlagen zu deren Beantwortung gefunden zu haben. Ist es richtig, dass die Gesamtbesteuerung (Reich, Einzelstaat und Kommunalkörper zusammengenommen) heute noch, trotz mancher Fortschritte, die Leistungsfähigkeit der oberen und der unteren Mittelklassen erheblich stärker in Anspruch nimmt als die des höheren Mittelstandes und der oberen Klassen und dass die individuelle Leistungsfähigkeit noch zu wenig Beachtung findet, dann wird es Aufgabe der künftigen Steuerpolitik sein: die Personalsteuern, also in erster Linie die allgemeine Einkommensteuer, weiter auszubauen, die Leistungsfähigkeit mindernde Verhältnisse stärker zu berücksichtigen, das Existenzminimum zu erhöhen, die unteren Steuerklassen zu entlasten, die

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/152&oldid=- (Version vom 31.12.2022)