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Die Ersetzung der Ertragsteuern durch eine Vermögenssteuer ist nur eine Frage der Zeit. Die Gemeinden sind nach wie vor zur Deckung ihres Steuerbedarfes in der Hauptsache auf Zuschläge zu den sämtlichen direkten Staatssteuern, jedoch nach einer neuen, ziemlich komplizierten Abstufung, angewiesen. Schon vorher hatte Baden 1884 eine allgemeine Einkommensteuer eingeführt, neben der die Ertragsteuern (ohne Arbeitsertragssteuer) zur schärferen Belastung des fundierten Einkommens beibehalten worden waren. Das Jahr 1906 brachte dann eine Ersetzung der Ertragsteuern durch eine Vermögenssteuer, die sich aber von der preussischen dadurch unterscheidet, dass für die einzelnen Vermögensgattungen (Grund und Boden, Gebäude, Gewerbe- und Kapitalvermögen) Spezialwertkataster gebildet wurden, aus denen der der Besteuerung zugrunde liegende Gesamtvermögenskataster zusammengestellt wird. Schulden dürfen nur bis zur Hälfte der Vermögenswerte abgezogen werden. Württemberg war 1906 mit der Einführung der Einkommensteuer gefolgt. Hier sind aber die Ertragssteuern, ähnlich wie in Bayern, zur Vorbelastung des fundierten Einkommens beibehalten worden. Sachsen war am frühesten von allen grösseren deutschen Staaten zum Personalsteuerprinzip übergegangen. Durch Gesetz vom 2. Juli 1878 hat es sein allerdings recht ungenügendes Ertragssteuersystem durch eine allgemeine Einkommensteuer ersetzt, neben der nur die ermässigte Grundsteuer und die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen bestehen blieben. Die Einkommensteuer wurde dann in der Folge noch etwas ausgestaltet. Sie beginnt mit 400 Mk. Einkommen und erreicht bei Einkommen über 100 000 Mk. 5%. Im Jahre 1912 erfolgte auch hier die Einführung einer Ergänzungs- (Vermögens-) steuer.

Der dermalige Zustand des direkten Staatssteuerwesens in Deutschland ist also charakterisiert durch den Sieg der allgemeinen Einkommensteuer. Nur die beiden Mecklenburg und Elsass-Lothringen entbehren sie noch zurzeit; das letztere wird aber, da ein darauf bezüglicher Entwurf der Regierung bereits vorliegt, voraussichtlich in Bälde sein Ertragssteuersystem durch die allgemeine Einkommensteuer ersetzen oder ergänzen. Auch die Vermögenssteuer hat in einer grossen Anzahl deutscher Staaten Eingang gefunden, neben Preussen, Sachsen und Baden noch in Hessen, Braunschweig, Oldenburg und Sachsen-Gotha. Die übrigen Staaten haben, soweit sie zur Einkommensteuer gelangt sind, daneben die sämtlichen Ertragsteuern vom fundierten Ertrag beibehalten, wie Bayern und Württemberg, oder die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer oder wenigstens die beiden ersteren. Fast überall ist die Hausiergewerbesteuer dem Staate verblieben. In Einzelheiten finden sich freilich noch zahlreiche Abweichungen. Sie betreffen, was die Einkommensteuer anbelangt, die Abgrenzung der Existenzminima, die Steuerprogression, die Wahl der Steuerstufen, den Umfang der Steuerbefreiungen und -ermässigungen u. a. Und ähnliche Verschiedenheiten weisen die Vermögenssteuern auf. Sie erklären sich zum Teil aus historischen, zum Teil aus den wirtschaftlichen Verhältnissen, aus der verschiedenen Grösse des Steuerbedarfes und dergleichen Umständen. Alle aber erstreben eine der Leistungsfähigkeit angepasste Lastenverteilung. Des weiteren ist der heutige Zustand im deutschen Staatssteuerwesen charakterisiert durch das Fehlen der Verbrauchssteuern und die geringere Ausnützung der Verkehrssteuern einschliesslich der Erbschaftssteuer. Nur in den süddeutschen Staaten liefert die Biersteuer erhebliche Einnahmen. Da die höheren Kommunalkörper ihren Steuerbedarf ganz, die Lokalgemeinden ihn zum weitaus grössten Teile durch Zuschläge zu den direkten Steuern oder durch selbständige Erhebung von solchen decken, so werden in Staat und Gemeinde 85–90% und mehr des Steuerbedarfes durch direkte Steuern aufgebracht.

Allein das Bild vom deutschen Steuerwesen wäre unvollkommen, wollte man nicht auch die grossen Summen in Rechnung setzen, welche das Reich alljährlich an Steuern einfordert und die in weit höherem Masse Aufwand und Verbrauch belasten als Besitz und Einkommen.

Es lag in der Natur der Dinge und war in politischer und finanzieller Hinsicht durchaus zweckmässig, dass das Reich sich zunächst und in erster Linie der teilweise bereits gemeinsam verwalteten sog. indirekten Steuern, der Salz-, Tabak-, Rüben-, Bier-, Branntweinsteuern sowie der Zölle bediente, um seine Ausgaben zu bestreiten. Auf diesem Wege gelang es, eine reinliche Scheidung zwischen den Steuereinnahmen des Reiches und denen der Bundesstaaten zu bewirken, beiden eine selbständige Entwicklung ihres Finanzwesens zu sichern und alle die Verwicklungen und Reibungen zu vermeiden, die die Besteuerung derselben Steuerquellen durch Reich und Land notwendig

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/143&oldid=- (Version vom 12.9.2021)