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allgemeine Einkommensteuer; an Stelle der mit vielen Unzuträglichkeiten verbundenen Steuereinschätzung trat der Deklarationszwang; neben den physischen Personen wurde auch das Einkommen der wichtigsten juristischen der Besteuerung unterworfen. Das Existenzminimum blieb das gleiche wie bisher, aber die Steuersätze stiegen viel langsamer, erreichten erst bei 10 000 Mk. 3% (bisher schon bei 3000 Mk.), bei 100 000 Mk. 4%, und aussergewöhnliche Belastungen des Steuerpflichtigen, besonders durch Unterhalt und Erziehung der Kinder, fanden in Ermässigung der Steuer entsprechende Berücksichtigung. So trug die preussische Finanzverwaltung unter Miquel den Forderungen der Theorie Rechnung, die sich immer entschiedener für progressive Besteuerung und Schonung der minder bemittelten Klassen aussprach. Durch Gesetz vom gleichen Datum wurde auch die veraltete Gewerbesteuer (mit Ausnahme der Wandergewerbesteuer) auf eine neue Grundlage gestellt, indem sie auch formell in eine Ertragsteuer in vier Abteilungen nach der Grösse des Ertrages und des in einer Unternehmung investierten Kapitals ausgestaltet wurde. Eine besondere Steuer wurde daneben für den Betrieb der Schank- und Gastwirtschaft und des Kleinhandels mit Branntwein und Spiritus eingeführt. Schon längere Zeit hat die Wissenschaft auf die höhere Leistungsfähigkeit des fundierten Einkommens gegenüber dem nichtfundierten hingewiesen und die Berücksichtigung dieser Tatsache auch im Steuerwesen verlangt. Das Ergänzungssteuergesetz vom 14. Juli 1893 trug dieser Forderung Rechnung, indem es neben die Einkommensteuer eine mässige prozentuale Vermögenssteuer für alle Vermögen im Werte von mehr als 6000 bezw. 20 000 Mk. setzte. Die dem Staate durch die Neugestaltung des Steuerwesens in Aussicht gestellten Mehrerträge gaben dann die Möglichkeit auf die bisherigen Ertragsteuern, die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer, zu verzichten und diese den Gemeinden zu überweisen. Damit ist das Staatssteuerwesen Preussens auf die einfachste Formel gebracht und das steuerrechtliche Verhältnis zwischen Staat und Gemeinde in passender Weise geregelt worden. Der Staat schöpft seinen Steuerbedarf aus der Personalbesteuerung, den Gemeinden stehen in erster Linie die für sie jedenfalls nicht ungeeigneten Realsteuern zur Verfügung. Die kleineren Reformen der Einkommen- und Vermögenssteuer sowie des Kommunalabgabengesetzes in den Jahren 1906 und 1909 dürfen hier, da sie nichts grundsätzlich Neues brachten, übergangen werden.

Es würde zu weit führen, hier auch des Entwickelungsprozesses zu gedenken, der im Steuerwesen der übrigen deutschen Staaten während des 19. Jahrhunderts sieh vollzogen hat. Wir begnügen uns, kurz dessen Ergebnisse zusammenzufassen.

In denjenigen Staaten, welche, wie Bayern und Württemberg, mit einem reichen Zuwachs an Staatsgebiet aus der napoleonischen Kriegszeit hervorgingen, war die erste Sorge der Regierung zunächst darauf gerichtet, grössere Einheit in das Steuerwesen zu bringen. Das führte dann von selbst zu neugestaltenden Reformen, die im Süden Deutschlands, unter dem Einfluss des französischen Beispiels, mit dem Siege des Ertragssteuersystems endeten. Bayern hat sich in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts für dieses System entschieden, es aber erst in den 50er Jahren rein und lückenlos durchgeführt. Im Jahre 1881 erfolgte, nachdem der Versuch mit einer ergänzenden allgemeinen Einkommensteuer gescheitert war, eine Revision des Steuerwesens, die aber nur bei der Gewerbesteuer tiefer eingriff, indem hier an Stelle der Steuerbemessung nach äusseren Merkmalen in zahlreichen Fällen die nach dem wirklichen Ertrage trat. Durch vollen Abzug der Schuldzinsen bei der Kapitalrentensteuer und teilweisen bei der Gewerbe- und sog. Einkommensteuer, durch Steuerbefreiungen und progressive Steuersätze wurde dieses Ertragsteuersystem dem Prinzip der Einkommenbesteuerung näher gebracht. Auch der Forderung, die fundierten Einkommensbezüge höher zu belasten als die unfundierten, wurde durch mildere Behandlung der Löhne und Gehälter in etwas Rechnung getragen. Die Gesetzgebung vom 6. Juni 1899 schritt auf dem betretenen Wege weiter und förderte das Einkommensteuerprinzip noch weiter durch feinere Ausgestaltung der Besteuerung und stärkere Berücksichtigung der individuellen Leistungsfähigkeit. Durch das Reformwerk vom 14. August 1910 hat Bayern die allgemeine Einkommensteuer, im wesentlichen nach preussischem Muster, jedoch mit erheblich niedrigerem Existenzminimum und einer Progression bis zu 5% (bei mehr als 300 000 Mk.). zur Einführung gebracht. Die Mehrbelastung des fundierten Einkommens erfolgt durch die Ertragsteuern vom Grund-, Gebäude-, Gewerbe- und Kapitalertrag, die aber in ihren Sätzen erniedrigt und teilweise (Gewerbesteuer) erheblich umgestaltet wurden.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/142&oldid=- (Version vom 12.9.2021)