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im Wirtschaftsleben, die neuen Lehren der ökonomischen Wissenschaft waren die Hauptursachen. Aber der Verlauf wie die Ergebnisse dieser Umgestaltungen waren in den einzelnen Staaten sehr verschieden. Es ist notwendig, darauf mit einigen Worten einzugehen; denn das Verständnis der Vorgänge auf dem Gebiete des Steuerwesens im 19. Jahrhundert und in der Gegenwart ist bedingt von der Kenntnis der Umbildungen, welche um die Wende des 18. Jahrhunderts sich vollzogen haben. Wir müssen uns jedoch, der gegebenen Aufgabe entsprechend, auf eine kurze Darstellung der wichtigsten Vorgänge in den massgebenden westeuropäischen Staaten beschränken.

In Frankreich versuchte die Revolution wie den alten Staat, so auch dessen Steuerwesen aus den Angeln zu heben, in letzterer Beziehung an die Stelle der Vielheit drückender direkter und indirekter Steuern einige wenige Steuern zu setzen, die alten Privilegien gründlich zu beseitigen und Veranlagung und Erhebung im Sinn formaler Gleichheit umzugestalten. Aber das, zum Teil durch den Doktrinarismus der Physiokratie gestützte Bestreben, den Staatsbedarf durch zwei grosse direkte Steuern, die Grund- einschliesslich der Gebäudesteuer und die Personal-Mobiliarsteuer, zu decken, neben denen noch die Zölle und einige Register- und Stempelabgaben erhoben wurden, erwies sich bald als ganz undurchführbar. Die Demokratie wirtschaftete nicht billiger als der Absolutismus. Die Vereinfachung im Steuerwesen war erkauft worden mit einer rücksichtslosen Ausnützung der Papiergeldpresse. Die dadurch mit herbeigeführte zunehmende Zerrüttung der Finanzen zwang die Übereilung des Jahres 1791 wieder gut zu machen und bis 1798 erfolgte lediglich aus finanziellen Gründen die Einführung der Patentsteuer und der Tür- und Fenstersteuer. Im Jahre 1798 wurde das Enregistrement mit Einschluss der Erbschafts- und Schenkungssteuer in stark fiskalischem Sinn, aber in technisch anerkennenswerter Weise legislativ ausgebaut. Ja die Finanznot nötigte dazu, auch die innere Verbrauchsbesteuerung, deren Druck nicht wenig zum Ausbruch der Revolution beigetragen hatte, zunächst schüchtern, später aber sehr energisch auszunützen und die Einfuhrzölle zu erhöhen. Die eiserne Hand Napoleons, unter der das Parlament sich widerstandslos beugte, bescherte den Franzosen die Getränkesteuern, die Salzsteuer, das Tabakmonopol. Als Napoleon vom Schauplatze abtrat, war das französische Steuerwesen, was die Verteilung der Steuerlast betraf, nicht allzuweit von dem Zustande entfernt, den es in der letzten Zeit des Ancien Régime erreicht hatte. Natürlich waren im einzelnen viele Verbesserungen vorgenommen worden, namentlich auf dem Gebiete der direkten Steuern: viele Privilegien waren gefallen, die Besteuerung war allgemeiner geworden, die Veranlagung und Erhebung mit grossem Geschick ausgestaltet, die Scheidung nach Ertragsquellen scharf durchgeführt und das Prinzip formaler Gerechtigkeit zur Anerkennung gebracht worden; auch die indirekten Steuern lasteten nicht mehr ganz so stark und so ungleichmässig wie früher auf dem Volke. Vom Standpunkte der heutigen Auffassung haften allerdings dem französischen Steuerwesen jener Zeit schwere Gebrechen an, über die seine grosse finanzielle Leistungsfähigkeit nicht hinwegzutäuschen vermag. Der Hauptberater bei seiner Ausbildung war doch das augenblickliche fiskalische Bedürfnis gewesen.

Eine die Grundlagen ergreifende Umgestaltung des französischen Steuerwesens fand auch in der Folgezeit nicht statt. Dass aber die hundert Jahre vom Abschluss des französischen Steuersystems bis zur Gegenwart im einzelnen zahlreiche Änderungen gebracht haben, ist bei der Fülle der politischen und wirtschaftlichen Ereignisse, die diese Zeit umfasst, selbstverständlich. Die Zeit der Bourbons und Orleans war allerdings ganz arm an Neuerungen im Steuerwesen. Die Ermässigung der Grundsteuer, die feinere Ausgestaltung der Patentsteuer, die Einführung der Rübenzucker- und einer Eisenbahnsteuer sind das ganze Ergebnis. Die Erhöhung der Zollsätze brachte zwar gesteigerte Einnahmen, war aber mehr im handelspolitischen als im finanziellen Interesse erfolgt. Die Revolution von 1848 und die zweite Republik waren von zu kurzer Dauer, um die jeder demokratischen Bewegung eigentümliche Abneigung gegen indirekte Steuern verwirklichen zu können. Ihr praktisch wichtigstes Ergebnis auf finanziellem Gebiete war die Ermässigung der Salzsteuer. Napoleon III. vermied es schon aus politischen Gründen an den Grundlagen der direkten Steuern zu rütteln, wenn auch in Einzelheiten manches geändert wurde. Bei der Stabilität der direkten Steuern und unter dem Einfluss des zunehmenden Wohlstandes wuchs der Anteil der Verbrauchs- und Verkehrsbesteuerung an der Deckung des Staatsbedarfs. Zudem wurde der Staatskredit in steigendem Masse in Anspruch genommen. Die dritte Republik war zunächst

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/135&oldid=- (Version vom 12.9.2021)