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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Der Wehrbeitrag wird im § 1 des Gesetzes als ein einmaliger ausserordentlicher Beitrag bezeichnet. Er ist wie jede ausserordentliche Steuer eine Zwecksteuer und kann nur aus den Verhältnissen heraus beurteilt werden. Er verdient Anerkennung schon um der Tatsache willen, dass damit der oft verkündete Entschluss von Regierung und Parlament, keine Ausgaben mehr auf Anleihen zu übernehmen, es sei denn für werbende Zwecke, in einem Falle verwirklicht wurde in dem er auf eine harte Probe gestellt war. War die Anleihe ausgeschlossen, so konnte für die Aufbringung eines so gewaltigen Bedarfes, nur die Vermögenssteuer in Frage kommen, die in Deutschland schon seit alten Tagen für die Deckung ausserordentlicher Bedürfnisse Verwendung gefunden hat. Keiner anderen Steuer konnte ein gleiches zugemutet werden, am wenigsten einer Kombination von Steuern, die die alten Gegensätze wieder entfacht hätte. Dass der Wehrbeitrag auch auf das Einkommen ausgedehnt wurde, kann nicht beanstandet werden; denn es wurde damit der Tatsache Rechnung getragen, dass die durch die Wehrvorlage bewirkte Sicherung des Reiches nicht nur den Vermögensbesitzern zu gute kommt. Die Freilassung der Einkommen unter 5000 Mk. kommt dem Verlangen nach Schonung der schwächeren Steuerkräfte genügend entgegen. Mit einer einmaligen Vermögens- und Einkommensteuer für den Reichshaushalt können auch diejenigen sich aussöhnen, die regelmässige Reichssteuern dieser Art für bedenklich halten.

Was dann die Besitzsteuer betrifft, so ist zunächst unbedingt zuzugeben, dass sie den Vorzug verdient vor den veredelten Matrikularbeiträgen, wie die Regierung sie ursprünglich plante. Wir halten Matrikularbeiträge überhaupt für eine wenig empfehlenswerte Art der Bedarfsdeckung sowohl in Ansehung des Reichs wie der Einzelstaaten und geben einer unmittelbaren Reichssteuer den Vorzug vor jenen. Gegen die Art der Besteuerung aber kann man manche Bedenken erheben. Es wird kaum ausbleiben, dass die Besitzsteuer die weitere Ausbildung der einzelstaatlichen Vermögenssteuern erschwert. Bei den auch in den Einzelstaaten stets wachsenden Ausgaben bildete der weitere Ausbau der Vermögenssteuer durch höhere Steuersätze, progressive Abstufung und feinere Fassung des Vermögensbegriffes eine wertvolle Reserve, deren Ausnutzung nun durch den Zugriff des Reiches eine gewisse Schranke gezogen ist. Allerdings haben sich Regierung und Reichstag bemüht, durch die Form der Steuer solche Bedenken abzuschwächen. Die Steuer ist keine reine, das ganze Vermögen erfassende Abgabe, sondern eine in dreijährigen Intervallen veranlagte Steuer vom Vermögenszuwachs. Scheinbar tritt sie nicht in Konkurrenz mit den einzelstaatlichen Vermögenssteuern. Tatsächlich ist dies aber doch der Fall; wenigstens wird sie so empfunden werden. Demi sie ergreift Quoten desselben Vermögens, das auch die Einzelstaaten belasten, und sie ist ihrer Wirkung nach eine alljährlich neben der einzelstaatlichen Steuer zur Erhebung kommende Reichsabgabe. Wir sind der Meinung, dass man den finanziellen Erfolg auch mittels einer allgemeinen Erbschaftssteuer erreicht hätte, die den Vorzug gehabt hätte, die Vermögenssteuer für die Einzelstaaten frei zu lassen. Tatsächlich ergreift die Besitzsteuer prinzipiell ja auch die auf Ankömmlinge und teilweise auch die auf Ehegatten entfallenden Zuwachse und man hat daraus einen Jahresertrag von etwas über 42% der Besitzsteuer errechnet. Hätte man auch noch das letzte Fünftel des Rohertrages den Bundesstaaten abgenommen, das für diese doch keine grosse Bedeutung mehr hatte, so wären weitere 9 Millionen dem Erbschaftssteuerertrag zugewachsen. Was dann noch zu den 95 von der Besitzsteuer erwarteten Millionen fehlte, das konnte durch Erhöhung der Steuersätze und Progressionen und durch eine zweckmässige Gestaltung der Abgaben von Abkömmlingen und Ehegatten aufgebracht werden. Das Deutsche Reich hätte dann aus Erbschaften 150 bis 140 Milk Mk. statt wie bisher rund 43 und mit Anteil der Bundesstaaten rund 54 Mill. gezogen und diese Summe wäre nicht unverhältnismässig, wenn man vergleicht, dass Frankreich zur Zeit 370 Mill. Fr. = 296 Mill. Mk., England 26,8 Mill. Pf. St. oder über 540 Mill. Mk. aus ihnen bezieht. Allein wir wissen, dass es jenseits der Theorie praktisch-politische Verhältnisse gibt, die stärker sind wie jene und mit denen gerechnet werden muss.

Stellt man sich auf den Boden der sog. Besitzsteuer, so muss man anerkennen, dass sie den Vorzug verdient vor den von anderen Seiten empfohlenen Arten von Zuwachssteuern. Sie umfasst den ganzen Vermögenszuwachs, mag er aus Erbschaften, aus rentierendem Vermögen oder aus Erwerb stammen. Sie erfasst dieselbe Vermögensmasse in der Hand des Vermögensinhabers nur einmal und überlässt das Vermögen, das der Zuwachsbesteuerung unterlegen hat, für die weitere

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/133&oldid=- (Version vom 12.9.2021)