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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Auf 100 Mk. direkte Steuer kamen ca. 1907 an indirekter Steuer

bei Nichtberücksichtigung der
Gemeindeabgaben[1]
      bei Berücksichtigung der
Gemeindeabgaben[2]
in Deutschland (Reich und Bundesstaaten) ca. 294 Mk. ca. 094 Mk.
in Frankreich ca. 261 Mk. ca. 190 Mk.
in Grossbritannien ca. 147 Mk. ca. 071 Mk.

Das Bild ist also, je nachdem die Gemeindeabgaben berücksichtigt werden oder nicht, das völlig entgegengesetzte. Im ersten Falle, bei Nichtberücksichtigung der Gemeindesteuern ein ungeheures Überwiegen der indirekten Steuern in Deutschland, fast zum Dreifachen der direkten, im anderen Falle, bei Berücksichtigung der gemeindlichen Abgaben, indirekte Steuern nur ungefähr in der Höhe der direkten, ja sogar weniger wie diese; im ersten Falle in Deutschland sozial ungünstigere Verhältnisse sogar als in Frankreich, dessen indirekte Steuern von „berüchtigter“ Höhe, dessen direkte Steuern verkümmert sind, im zweiten Falle eine Überlegenheit über Frankreich im Punkte der „Steuergerechtigkeit“ um über das Doppelte.

Die hier mitgeteilten Daten gehören der Zeit knapp vor der Reichsfinanzreform von 1909 an. Sie werden die Wahrheit beiläufig aber auch heute sein, wobei freilich nicht zu übersehen, dass diese Berechnungen immer nur den ungefähren Stand der Dinge bezeichnen können. Nach den in der Denkschrift des Reichsschatzsekretärs vom 31. Mai 1913 aus Anlass der Einbringung der Wehr- und Deckungsgesetze von 1913 berechneten Daten – die genaueren Berechnungsgrundlagen werden hier, soweit es sich um Gemeindesteuern handelt, freilich nicht angegeben[3] – kämen, wenn man, wie ich das für erforderlich halte, die Erbschaftssteuer den direkten Steuern, die sogenannten Verkehrsabgaben den indirekten Steuern zuzählt, 1911 auf 100 Mark direkte Steuern an indirekten Steuern

in Deutschland   105 Mark
Frankreich 178 Mark
England 51 Mark

Die Verschiedenheit des Ergebnisses gegen oben resultiert unter anderem aus der konsequenten Zurechnung der Erbschaftssteuern im zweiten Falle zu den direkten.

Die Daten zeigen im übrigen, dass wenn Deutschland im Punkte der Steuergerechtigkeit – die direkten Steuern als Repräsentanten der Steuergerechtigkeit gedacht – Frankreich ausserordentlich überlegen ist, es hinter Grossbritannien darin ausserordentlich zurücksteht. Zur Erklärung muss jedoch gesagt werden, dass es in der Natur der Dinge liegt, dass je mehr ein Land vermöge seiner Einkommensschichtung, d. h. des Ueberwiegens der kleinen Einkommen, der ausgleichenden Gerechtigkeit im Steuerwesen bedürfte, es ihrer desto weniger teilhaftig werden kann, weil desto mehr – vermöge der geringeren Leistungsfähigkeit der oberen Klassen – die Steuern als indirekte umgelegt werden müssen, während je reicher ein Volk, desto ausgiebiger die direkten Steuern an der Last mit tragen können. Diese Wohlhabenden und Reichen sind aber in der Gesellschaftsschichtung Grossbritanniens in ganz anderer Stärke als in Deutschland vertreten.

Das Ziffernverhältnis von direkter und indirekter Steuer sagt überdies lange noch nicht alles zur Bezeichnung des Drucks, der von den Steuern ausgeht. Die einzelnen direkten und indirekten Steuern sind ja von sehr verschiedener sozialer Wirkung. Wie allgemein bekannt,


  1. Nach Zahn, Die Finanzen der Grossmächte, 1908, und Plenge, Die Finanzen der Grossmächte, in der Zeitschr. f. d. ges. Staatsw. 1908.
  2. Auf Grund der in den „Zusätzen und Berichtigungen“ zu den Denkschriften zur Reichsfinanzreform enthaltenen Nachweisungen berechnet.
  3. Die Denkschrift meint nur ausführen zu sollen: „Die praktische Feststellung der Gemeindesteuern ist freilich bei den meisten auswärtigen Staaten überaus schwierig, weil vielfach das Material fehlt oder lückenhaft ist, Dotationen, Subventionen, Beiträge und dgl. m. hinüber und herüber zwischen den einzelnen Kategorien der öffentlichen Körperschaften vorkommen und ein schwer zu beseitigendes Hindernis bieten, vergleichbare Daten zu gewinnen.“
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/119&oldid=- (Version vom 11.9.2021)