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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

nahezu 170 Millionen Erbschaften von Nichtverwandten. Schenkungen unter Lebenden wurden 1911 im Betrage von 62 Millionen Mark zur Steuer genommen.

Wie die Reichserbschaftssteuer ist auch die Tantièmensteuer der Stengel’schen Reichsfinanzreform von 1906 zu danken. Sie sieht ihren Rechtsgrund darin, dass die Tantième, das Aufsichtsratseinkommen, leichter (ob mit geringerer Leistung oder nur mit geringerem Arbeitsaufwand, lässt sich generell nicht beantworten!) gewonnen erscheint als das Arbeitseinkommen und sich in diesem Sinn wieder, mindestens zu einem Teile seines Betrags, als Glückseinkommen darstellt. Die Bezüge der Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften u. dgl. sind darnach einer besonderen Abgabe (über die Einkommensteuer hinaus) zu vollen 8 vom Hundert unterworfen. Der Ertrag der Steuer, die seltsamerweise gleichfalls unter „Reichsstempelabgaben“ geführt wird, war 1912 6.5 Millionen Mark, was ein steuerpflichtiges „Aufsichtsratseinkommen“ in Deutschland von rund 80 Mill. Mark ergibt.

Gleichfalls eine Einkommensergänzungssteuer, wenn auch nicht vom Glücks-(„Konjunktural-“)Gewinn, sondern einfach von Einkommen aus Mobiliarvermögen ist die Talonsteuer von den Zinsbogen der Wertpapiere, mit 1% des Nennwerts der Wertpapiere, wenn dieselben Aktien sind, mit ½%, wenn dieselben Renten- und Schuldverschreibungen, mit 1/5%, wenn sie Schuldverschreibungen von Kommunen sind, und mit Befreiung der Zinsbogen von Renten- und Schuldverschreibungen des Reiches und der Bundesstaaten. Die Normaldauer der Zinsbogen ist 10 Jahre (falls die Bogen Zinsscheine für einen längeren als zehnjährigen Zeitraum enthalten, erhöht sich die Steuer um ein Zehntel für jedes fernere Jahr), sodass sich die Steuer beispielsweise für Aktien auf jährlich 1/10 Prozent vom Werte solcher und bei einem Ertrag der Aktien zu 5% mit 2% des Ertrages berechnet. Bei 1¼ oder 1½% allgemeiner Vermögenssteuer (vgl. Preussen) würde dieselbe, soweit es sich um Aktienerträge handelt, durch die Talonsteuer eine reichliche Verdoppelung erfahren. Der Ertrag der Talonsteuer war 1911 11.7, 1912 10 Mill. M.

Anstelle der seit 1911 erhobenen Wertzuwachssteuer von Grundstücken ist im Reiche 1913 eine allgemeine Vermögenszuwachssteuer getreten. Dieser Steuer unterliegt aller Vermögenszuwachs, der binnen 3 Jahren 10 000 M. übersteigt, bei einem Gesamtvermögen von über 20 000 M. Die Begründung des Gesetzes hebt hervor, es solle der „Vermögenszuwachs im weitesten Sinne“ zur Steuer genommen werden, und nach ihr umfasst der Vermögenszuwachs folgende 4 Hauptgruppen:

a) den Vermögenserwerb auf Grund von Rechtstiteln, die dem Erbrecht angehören, sowie auf Grund von unentgeltlichen Zuwendungen unter Lebenden,
b) den Vermögenserwerb durch Spekulationsgewinn und infolge sonstiger Glückszufälle (z. B. Lotteriegewinn),
c) die Erhöhung des Vermögenswertes durch eine Wertsteigerung einzelner Vermögensgegenstände, z. B. Grundstücke, Wertpapiere, (Konjunkturgewinn, Wertzuwachs im engeren Sinne),
d) die Vermögensbildung aus erspartem Einkommen.

Die Kategorien a, b, c weisen wissenschaftlich gesehen auf eine Besteuerung von zu Kapital gemachtem, „Vermögen“ gewordenem Konjunktureinkommen hin,[1] die Gruppe d rafft alles übrige Vermögen gewordene Einkommen zusammen; insgesamt liegt also eine Vermögenssteuer vor, die ihren Rechtsgrund zum Teile aus der besonderen Art der Einkommen, die sich zum Vermögen „niederschlagen“, zu nehmen trachtet. Nicht zu übersehen ist, dass nach dem Gesagten die Vermögenszuwachssteuer auch eine Erbschaftssteuer in sich schliesst, insofern die Erbschaft während der dreijährigen Periode, auf die hin der Vermögenszuwachs konstatiert wird, nicht etwa wieder verloren worden ist.

Der Tarif der Vermögenszuwachssteuer ist etwas kompliziert. Es werden 6 Stufen unterschieden: bis zu 50 000 M., über 50 000 bis 100 000 M., über 100 bis 300 000 M., über 300 bis 500 000 M., über 500 000 bis zu 1 Million M. und über 1 Million Mark Zuwachs. In der untersten Stufe ist der Steuersatz 0.75% des Zuwachses, er steigt mit jeder Stufe um je 0.15% des Zuwachses,


  1. Vgl. hierzu die Ausführungen des Vorkämpfers einer allgemeinen Zuwachssteuer, Landrats v. Dewitz, Erbzuwachssteuer als Besitzsteuer 1912, S. 15 ff.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/108&oldid=- (Version vom 10.9.2021)