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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Dazu kommt, dass die Demokratie den Bürger gewöhnt, sich um vielerlei Dinge zu kümmern, die ihn nichts angehen: er fängt an, in alles mögliche hineinzureden und sich ein Urteil darin anzumassen. . . . . .“ So schildert Windelband[1] Plato’s Klagen über die Schäden der Demokratie. Dem so verkommenen Staatswesen tut eine gründliche Reform not und diese nimmt Plato in der Politeia vor. Er will vor allem den Egoismus der Bürger, der sich in der Demokratie ausgebildet hatte, bekämpfen und die Individuen vollständig dem Staate unterordnen und in den Dienst der Gesamtheit stellen. Darin geht er aber so weit, dass der Einzelne vollkommen diesem den Staat beherrschenden Prinzipe zum Opfer fällt.

Plato lässt den Staat entstehen aus dem Streben des Individuums nach Unterstützung durch die Mitmenschen;[2] er geht also aus von der Absicht der Menschen, einander das Leben zu erleichtern. Dieses Ziel ist aber mit der Gründung des Staates oder vielmehr der Gesellschaft bereits erreicht. Die Zwecke, die der fertige Staat verfolgt, sind viel höhere, ideale, er soll alle Menschen glücklich machen,[3] und dies ist nur möglich durch Verwirklichung der Tugend. Der Staat will also die Bürger zur Tugend erziehen. Die zahlreichen Einzelvorschläge, die Plato nun bei der näheren Ausführung seines Idealstaates macht, wie Weiber- und Kindergemeinschaft, Aufhebung des Privateigentums u. s. f. sind hier nicht näher zu besprechen. Aber das ganze irdische Leben ist im Platonischen Staat schliesslich nur Vorbereitung für das Jenseits, wo die Tugend erst belohnt wird.

Dieselbe Aufgabe wie in der Politeia setzt Plato dem Staat in den „Gesetzen“; auch hier ist die allgemeine Glückseligkeit höchstes Ziel des Staates und auch hier hat der irdische Staat nur für das Jenseits vorzubereiten. Dabei sollen die staatlichen Gesetze im einzelnen so beschaffen sein, dass sie die starre Konservierung der herrschenden Einrichtungen verbürgen und jeden Fortschritt unmöglich machen. Alles Eindringen von Neuerungen aus dem Auslande soll verhindert werden, was natürlich wiederum nur unter äusserster Beschränkung der freien Persönlichkeit möglich ist. Plato schildert hier einen agrarischen Polizeistaat schlimmster Sorte, der unter dem Drucke der denkbar strengsten Sittenpolizei steht und auf Erden keine andere Aufgabe hat, als sich selbst zu erhalten.

Den in der „Politeia“ konstruierten Staat hält Plato selbst für ein nicht zu verwirklichendes Ideal, denn in den Gesetzen sagt er von ihm, er eigne sich nur für Götter und Göttersöhne[4]; deshalb entwirft er hier den „zweitbesten“ und „drittbesten“ Staat, Entwürfe, die nach seiner Meinung auch von Menschen ausgeführt werden können.

Ähnliche ideale Aufgaben wie Plato stellt Aristoteles seinem Staat; er geht bei der Betrachtung des Staates schon vom Zweck desselben aus, wie der Einleitungssatz seiner Politik zeigt und noch verschiedene Stellen des Werkes beweisen.[5] „Die staatliche Gemeinschaft hat das sittlich-schöne Handeln zum Zweck und nicht bloss das Zusammenleben.“[6] Nach der ihm eigenen hohen Meinung vom Wesen und Wirken des Staates schreibt er ihm allein die Macht zu, den Menschen über das Tier hinauszuheben. Nur im Staate kann der Mensch diese ethische Vollkommenheit erreichen, die, im Gegensatz zu Plato, nicht erst im Jenseits, sondern schon hier auf Erden verwirklicht werden soll. Wer ausserhalb des Staates lebt, ist entweder ein Tier oder ein Gott, ohne Staat ist der Mensch überhaupt nicht denkbar.[7] Daher auch der so paradox klingende Aristotelische Satz: Der Staat war früher da als der Mensch.[8] Der eigentliche Zweck des Staates liegt in der Glückseligkeit der Staatsbürger, Glückseligkeit aber besteht in der ungehemmten Betätigung der Tugend; diese in den Bürgern hervorzubringen ist die höchste Aufgabe des Staates.


  1. Platon, S. 150 f.
  2. Politeia II. 11.
  3. Politeia IV. 1.
  4. Gesetze, V. 10.
  5. Vergl. Politik I. 2; III. 6; III. 9.
  6. Politik, III. 9. – Vergl. Siebeck, Aristoteles. S. 111. Zeller, Die Philosophie der Griechen. II. 2. (3. Aufl.) S. 672 ff.
  7. Ähnlich in neuerer Zeit Dahlmann, Die Politik I. S. 3: „ . . . . man kann nicht Volk ohne Staat sein.“
  8. Politik I. 2.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/69&oldid=- (Version vom 8.7.2021)