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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Wichtig ist bei der Klassenwahl noch, ob die Klassen den oder die Abgeordneten des Wahlkreises gemeinschaftlich wählen, so dass zwei Wahlklassen, weil sie zwei Drittel Wahlkraft besitzen, die dritte überstimmen können, oder ob jede Klasse für sich einen Abgeordneten bestimmt. Im ersten Falle können die Wahlkreise einmännig, im letzteren Falle müssen sie dreimännig sein. Das erste System begünstigt die Höchstbesteuerten. Es gilt in Preussen einmännige Wahlkreise. Das andere System mildert die plutokratische Natur des Steuerklassen-Wahlrechts. Es gilt in Braunschweig und Schwarzburg.

Am augenfälligsten tritt die Ungleichheit des Steuerklassensystems hervor, wenn man sich vergegenwärtigt, wie der Zufall des Wohnsitzes und der Wohnung darüber entscheidet, in welcher Abteilung einer wählt. In armen Bezirken ist Wähler erster Klasse, wer in anderen in dritter Klasse stimmt.


XII. Mittelstaaten. In Bayern ist Wähler jeder 25 Jahre alte Bayer, der seit mindestens einem Jahre a) die Staatsangehörigkeit besitzt, b) irgendwelche direkte Staatssteuer (Minimum 50 Pfg) zahlt (Wahl-G. 1906 u. Einkommensteuer-G. 1910). Die Wahlkreise sind mehr ungleich als gleich. Nahezu drei Achtel der Abgeordneten (60 von 163) werden nicht in ein-, sondern in zweimännigen Wahlkreisen (30 solche gegen 103 andere) gewählt und die grossen Städte haben grundsätzlich weniger Mandate als das Landgebiet. Im Königreich Sachsen (Wahl G. 1909) setzt das Stimmrecht voraus: Staatsangehörigkeit seit mindestens zwei Jahren, direkte Staatssteuer, 25. Lebensjahr und männliches Geschlecht. Möglich ist Steigerung des Stimmrechts bis zu vier Stimmen. Eine Ergänzungsstimme erhält, wer 50 Jahre alt ist (Alterspluralität), soferne er nicht schon aus anderen Gründen drei Zusatzstimmen hat. Die anderen Gründe sind Bildung (Einjährigen-Examen), Einkommen und Grundbesitz je nach der Grösse eine oder zwei Ergänzungsstimmen. Baden verlangt: a) männliches Geschlecht, b) Staatsangehörigkeit seit mindestens zwei Jahren und Wohnsitz im Lande im Zeitpunkt der Wahl, oder Wohnsitz und Staatsangehörigkeit seit einem Jahre (Verfassung 1904, § 34). Württemberg begnügt sich mit männlichem Geschlecht, 25 Lebensjahren und Besitz der Staatsangehörigkeit überhaupt (Verfassung G. 1906). Dagegen haben Elsass-Lothringen (Wahlgesetz 1911) und Hessen (Landstände-Gesetz 1911) die Einräumung des direkten Wahlrechts mit starken Wahlkautelen, in Hessen auch mit Mehrstimmrecht belastet. In Hessen war das Wahlrecht bisher allgemein und gleich, jetzt ist es weniger allgemein und ungleich. In Elsass-Lothringen galt bisher schon allgemeines und gleiches Wahlrecht, aber kautelenfreies, jetzt kautelenbelastetes. Im Reichslande sind wahlberechtigt die männlichen Einwohner des Landes, die 1. reichsangehörig, 2. 25 Jahre alt, 3. seit 3 (bei öffentlichem Amt 1) Jahren im Lande, 4. seit 1 Jahre in der Gemeinde wohnhaft sind. Hessen verlangt männliches Geschlecht, 25 Jahre, Wohnsitz im Lande seit drei, Staatsangehörigkeit seit einem Jahre, geringe direkte Staats- oder Gemeindesteuer seit Anfang des Rechnungsjahres; 50 Jahre gewähren eine Altersstimme.


XIII. Hamburg. Diese Hansestadt hat von Einkommensteuer abhängiges und in viele Klassen gespaltenes Wahlrecht. Zunächst bestehen drei Hauptklassen, zwei Standesklassen, die Grundeigentümer- und die Bildungsklasse, von denen jede 40 Bürgerschaftsmitglieder wählt, dann die allgemeine Wählerklasse. Sie zerfällt in eine Landabteilung, die 8, und eine Stadtabteilung, die 72 Bürgerschaftsmitglieder kreiert. Letztere gliedert sich wieder in die Wähler mit mehr als und in die Wähler bis zu 2500 Mk. Einkommen. Die erste der beiden Steuergruppen wählt doppelt soviel Abgeordnete als die zweite, von den 72 also 48 (Wahlgesetz v. 5. III. 1906). Reuß j. L. hat seit 1913 dasselbe Mehrstimmrecht wie Sachsen.



Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/458&oldid=- (Version vom 27.8.2021)