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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Preussen von vornherein höher standen als alle die Kämpfe und Wortgefechte in den kleinen deutschen Landtagen der vormärzlichen Zeit. Immerhin schulten sich in diesen drei Jahrzehnten vor 1848 die parlamentarischen Wortführer, die sich mit Vorliebe die französischen Kammerredner zum Muster nahmen; und der liberalen Opposition, die sich gleich nach den Befreiungskriegen und der Enttäuschung aller nationalen und freiheitlichen Hoffnungen gebildet hatte, wurden hier von Welcker und Rotteck, von Pfizer und Uhland erstmals die Waffen zum Kampfe geschmiedet, hier bereiteten sich die politischen Probleme der Jahre 1848, 1866 und 1871 vor und hier fand man für sie auch schon die handlichen Formeln und die wirksamsten Schlagworte. Denn nicht bloss die „vaterländischen Gedichte“ Uhlands und die Tendenzpoesie des jungen Deutschland, auch die Kammerreden dieser liberalen Oppositionsmänner fanden in ganz Deutschland jubelnden Widerhall. Und auch um wichtige parlamentarische Rechte wurde hier gestritten: die Behandlung Uhlands, dem die Regierung den zur Ausübung seiner parlamentarischen Tätigkeit notwendigen Urlaub verweigerte und die darauf hin begehrte Entlassung aus dem Staatsdienst „sehr gerne“ gewährte, zeigte, wie es geradezu eine Lebensfrage für den Parlamentarismus war, sich und seine Träger mit gesetzlichen Garantien zu umgeben.

Mit seinen beiden Forderungen der nationalen Einheit und der verfassungsmässigen Freiheit hatte der Liberalismus gewiss nur recht. Aber es war doch verhängnisvoll, dass ihm von vornherein ein partikularistischer Zug anhaftete, weil er wesentlich süddeutsch und kleinstaatlich war. Natürlich gab es auch im Norden Liberale; aber weil ihnen die Möglichkeit des öffentlichen Hervortretens und die Resonanz im Volke fehlte, so blieb der Liberalismus dort auf Einzelne oder auf kleine Kreise beschränkt und nahm dadurch etwas Esoterisches, fast könnte man sagen : eine aristokratisch steife und zugeknöpfte Art an. Und weil in Süddeutschland vielfach Professoren und Advokaten an der Spitze der Opposition standen, so bekam er hier einen stark doktrinären Zug, der wohl auch mit dem Geiste der Aufklärung zusammenhing, die den gebildeten Bürgerstand noch immer beherrschte; und aus diesem rekrutierte sich ja natürlich der oppositionelle Liberalismus zumeist.

In den Kleinstaaten waren die Gegner der Liberalen einfach gouvernemental, eine konservative Partei gab es hier nicht. Sie finden wir zuerst in dem „Vereinigten Landtag“ von 1847 in Preussen, in dem freilich auch wieder Liberale wie Vincke die geistige Führung hatten. Auch die Einberufung dieses ersten preussischen Parlaments litt an dem Fehler aller Massregeln Friedrich Wilhelms IV., sie kam zu spät und sie brachte nichts Ganzes; selbst die gesetzlich geregelte periodische Einberufung liess sich der König nur mühsam abringen. Und doch stand die Versammlung sofort auf einer solchen geistigen Höhe, dass alle Welt sah, einem Volk mit solchen Männern werde die längst zugesagte Verfassung ganz unberechtigterweise vorenthalten. Und auch das war bedeutsam und zeugte von einem neuen Faktor und Geist in unserem Staatsleben, dass ein Eisenbahnanlehen, also ein modernes Verkehrsinteresse, den Hauptanstoss zu ihrer Einberufung gegeben hatte.

Aber nicht nur in Preussen, auch in den kleinen Staaten wurden in den vierziger Jahren die Geister lebendig und wach. Die Opposition gegen den Romantiker auf dem Throne der Cäsaren und die Enttäuschung, die der mit so grossen Erwartungen aufgenommene König der Welt bereitete, die schrillen Töne der Tendenzpoeten wie Heine und Freiligrath, die nationale Bewegung bei der Bedrohung der Rheingrenze durch Thiers und dem Erlass des „Offenen Briefs“ durch König Christian VIII. von Dänemark, der sich über die verbrieften Rechte der Elbherzogtümer zu Gunsten eines unverletzlichen dänischen Gesamtstaates hinwegsetzte, – alles das brachte die Gemüter mehr und mehr in fieberhafte Revolutionsstimmung. Zur Aussprache und zu Beschlüssen verdichteten sich solche Wünsche und Forderungen vor allem in der badischen Kammer, wo Karl Mathy einen Antrag auf Beseitigung der dort besonders unerträglichen Zensur und Bassermann unmittelbar vor dem Ausbruch der Revolution einen Antrag auf Einsetzung eines deutschen Parlaments einbrachte.

Und dieses kam nun sofort, als von Paris her der revolutionäre Sturm auch über die deutschen Länder alle hinwegbrauste. In den kleinen Staaten fielen überall die reaktionären Minister und machten den bisherigen Führern der Opposition, also in parlamentarischen Kämpfen wohl geschulten und erprobten und überdies fast durchweg ganz gemässigten Männern Platz. Zu den Märzerrungenschaften aber gehörten immer zuerst Pressfreiheit und Abschaffung der Zensur, Versammlungsrecht und Geschworenengerichte, Ablösung der Zehnten und Fronen u. dgl. m.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/421&oldid=- (Version vom 21.8.2021)