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solche Ermächtigungen erteilt, und zwar dieses sowohl an seine eigenen Organe wie an Polizeibehörden der Einzelstaaten, welche letzteren auf Grund solcher Delegation polizeiliche Normen setzen, die materiell Reichsrecht sind (vgl. oben S. 296 Ziff. IV a. E.). Inhaltlich weichen diese Ermächtigungen vielfach von einander ab; besonders folgende Unterschiede treten hervor: a) Die Ermächtigung ist eine allgemeine oder spezielle, je nachdem sie die Polizeibehörde ganz allgemein, d. h. soweit ihre polizeiliche Zuständigkeit reicht, oder nur für bestimmte im Gesetze ausdrücklich bezeichnete Einzelmaterien zum Erlasse von Strafverordnungen ermächtigt; b) die Ermächtigung legt weiter der Polizeibehörde entweder die Befugnis bei, sowohl die polizeilich strafbaren Tatbestände zu fixieren wie auch innerhalb gesetzlich festgelegter Grenzen die Strafen anzudrohen, oder nur das Recht, die Tatbestände zu formulieren, die einer durch Gesetz bereits festgesetzten Strafe unterstellt werden sollen. – Die Gesetzgebungen der deutschen Einzelstaaten haben sich meist prinzipiell für eine dieser Delegationsarten entschieden und die andere nur ausnahmsweise angewandt. In den Staaten Bayern, Württemberg und Baden, die umfassende Kodifikationen des Polizeistrafrechtes in ihren Polizeistrafgesetzbüchern besitzen, sind den Polizeibehörden nur spezielle Ermächtigungen erteilt, und auch diese gehen nur auf genauere Bestimmung des gesetzlich im allgemeinen fixierten Tatbestandes, nicht auch auf die Straffestsetzung, die im Gesetze selbst enthalten ist. Nur für Fälle dringender Gefahr sind in Bayern dem Könige, in Baden den höheren Verwaltungsbehörden allgemeine, und dann auch auf die Straffestsetzung sich erstreckende Delegationen erteilt (bayer. Pol.Str.G.B. Art. 9, bad. Pol.Str.G.B. § 29). In Preussen, Sachsen, Hessen und den meisten anderen norddeutschen Staaten dagegen sind die Polizeibehörden grundsätzlich ermächtigt, im sachlichen Gesamtumfange ihres polizeilichen Wirkungskreises Polizeiverordnungen zu erlassen, wie auch die Strafen innerhalb der gesetzlich gezogenen Grenzen festzusetzen. Spezielle Delegationen bilden hier vereinzelte Ausnahmen (vgl. unten S. 302). Das Reichsrecht hat regelmässig (z. B. in der Gewerbeordnung §§ 120 e, 1474 und im Strafgesetzbuche § 145) nur spezielle Ermächtigungen und auch nur die Befugnis, den Tatbestand zu formulieren, erteilt; nur die Bundeskonsuln und für die Schutzgebiete den Reichskanzler und dessen Subdelegatare hat es[1] allgemein ermächtigt, innerhalb ihres polizeilichen Wirkungskreises Polizeiverordnungen, und zwar auch mit der Befugnis selbständiger Straffestsetzung, zu erlassen – überhaupt nicht um selbständige reichsrechtliche Delegationen, sondern um Verweisung auf landesgesetzliche Delegationen handelt es sich richtiger Ansicht nach bei den sog. Blankettstrafgesetzen. In Elsass-Lothringen ist nach dem fortgeltenden französischen Rechte die Delegation überall auf die Tatbestandsformulierung beschränkt, im übrigen ist die der Bezirkspräsidenten eine generelle, die der Ortspolizeibehörden eine spezielle, jedoch so umfassende, dass sie tatsächlich einer allgemeinen gleichkommt. Die deutsche Gesetzgebung hat weiter dem Ministerium Spezialdelegationen für Berg-, Jagdpolizei u. a. erteilt.

Selbstverständlich findet alles Polizeiverordnungsrecht seine Grenze am polizeilichen Interesse, das stets nur auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und die Abwehr der der Allgemeinheit und den Einzelnen drohenden Gefahren gerichtet ist. Daher können auch Polizeibehörden, die ganz allgemein zum Erlasse von Polizeiverordnungen ermächtigt sind, von ihrem Verordnungsrechte nur da Gebrauch machen, wo es sich um den Schutz gerade dieser Interessen handelt; und nicht auch – sofern ihnen eine solche Befugnis nicht etwa, wie neuerdings in Preussen durch das Ges. gegen Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden 2. Juni 1902, ausdrücklich beigelegt ist – um die Durchsetzung anderer, etwa pfleglicher oder finanzieller Verwaltungsinteressen zu sichern. Eine weitere Grenze, die dem möglichen Inhalte aller Polizeiverordnungen gezogen ist, ergibt sich daraus, dass ihre Rechtsvorschriften lediglich auf Grund der gesetzlichen Ermächtigung verbindlich sind. Die Polizeiverordnung darf daher keine Bestimmungen enthalten, die über diese Ermächtigung hinausgehen, insbesondere, soweit die Ermächtigung nicht etwas anderes gestattet, keine Normen, die mit übergeordneten Rechtsvorschriften, wie es vor allem die Gesetze und die Polizeiverordnungen höherer Polizeibehörden sind, in Widerspruch stehen. Um die Innehaltung dieser Grenze zu sichern, sind die niederen Polizeibehörden gesetzlich verpflichtet, ihre Verordnungen alsbald der höheren Polizeibehörde zur Kenntnisnahme vorzulegen, die die Verordnung eventuell ausser Kraft setzen kann


  1. Reichsgesetz über die Konsulargerichtsbarkeit 7. April 1900 § 51; Schutzgebietsgesetz 25. Juni 1900 §15.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 310. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/330&oldid=- (Version vom 1.8.2018)