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ist, der Bundesrat.[1] Auf Grund besonderer reichsgesetzlicher Ermächtigungen ist aber zur Ausübung des organisatorischen Verordnungsrechtes mehrfach der Kaiser berufen, dem die R.-Verf. selbst dieses bereits für ganze Verwaltungsgebiete, nämlich für die Post und Telegraphie, für die Kriegsmarine und in gewissem Umfange, auch für die Verwaltung des Landheeres (Art. 50, 53, 63) übertragen hat. Zur Inkraftsetzung der organisatorischen Verordnungen, welche lediglich Interna des Verwaltungsbetriebes regeln, genügt, wie bei allen Dienstanweisungen, die Mitteilung an die beteiligten Stellen im Verwaltungswege; soweit organisatorische Verordnungen dagegen in die Rechtslage der Untertanen eingreifen, bedürfen sie als Rechtsverordnungen einer Verkündigung, s. oben S. 296.

3. Den Organisationsverordnungen verwandt sind die Anstaltsordnungen, auch Regulative, Reglements, Hausordnungen, Statuten genannt, die die innere Verwaltung der öffentlichen (Staats- und Kommunal-) Anstalten (wie Post, Staatseisenbahnen, Schulen, Museen, Bibliotheken, Krankenhäuser, Sparkassen, Schlachthäuser u. a.) wie deren Benutzung durch das Publikum regeln. Der Erlass solcher Anstaltsordnungen steht den der betreffenden Anstalt vorgesetzten Behörden zu. Die Anstaltsordnung ist inhaltlich einmal Dienstanweisung für das Anstaltspersonal und bindet dieses aus seiner Dienststellung heraus. Sie ist aber nicht nur Dienstanweisung. Sie richtet sich auch an die Benutzenden. Allein auch soweit sie das Verhalten und die Ansprüche dieser normiert, ist sie, solange sie sich auf dem Boden des geltenden Rechtes bewegt, Verwaltungsverordnung. Sie greift nicht gebietend in die Rechtslage der Regierten ein, setzt vielmehr nur im Rahmen der geltenden dispositiven Normen die Bedingungen fest, unter denen Interessenten zur Anstaltsbenutzung zugelassen werden sollen. Diese Festsetzungen sind aber da, wo kein Zwang zur Benutzung der Anstalt besteht, für die Benutzer verbindlich, weil sie sich ihnen mit Inanspruchnahme der Anstalt freiwillig unterworfen haben; wo aber ein Zwang besteht (Schulzwang, Postzwang, Schlachthauszwang), der nur durch Gesetz eingeführt werden kann, da zwingt die gesetzliche Norm, die zur Benutzung zwingt, zugleich zur Unterwerfung unter die Anstaltsordnung. Soll in einer Anstaltsordnung der Boden des gemeinen Rechtes verlassen, z. B. die nach diesem bestehende Haftung der Anstalt ganz oder teilweise ausgeschlossen werden, so bedarf es dazu gesetzlicher Ermächtigung.[2] Die regulären Anstaltsordnungen, welche keine neuen Rechtssätze enthalten, bedürfen als Verwaltungsverordnungen keiner Verkündigung im oben S. 289 angegebenen Sinne, jedoch ist jedem Interessenten die Möglichkeit zu geben, von ihrem Inhalte, wenigstens soweit er Rechte und Pflichten der Benutzer betrifft, Kenntnis zu nehmen, da sie jeden ergreifen, der die Anstalt in Anspruch nimmt. Sie werden daher regelmässig von vornherein durch Anschläge in der Anstalt, Veröffentlichungen in Zeitungen, Mitteilung beim Eintritte in die Anstalt und auf andere geeignete Weise den interessierten Kreisen bekanntgegeben.

4. Ausführungs- oder Vollzugsverordnungen sind Verordnungen, welche der Durchführung eines Gesetzes dienen. Sie sind immer unselbständige Verordnungen in dem Sinne, dass sie an ein bestimmtes Gesetz anschliessen und auch in ihrer Existenz von dem Fortbestande


  1. Seine Zuständigkeit folgt aus Art. 7 Ziff. 2 R.Verf. („Einrichtungen“) oder, wenn man mit Anschütz Encykl. S. 163 annimmt, dass hier nicht unmittelbare Reichsorgane sondern einzelstaatliche Organe gemeint seien, was die Reichsbehörden anlangt, doch aus der allgemein für seine Zuständigkeit sprechenden Vermutung (oben S. 296). Ebenso im wesentlichen Zorn a. a. O. S. 291; v. Seydel, Komm. S. 142; Arndt, Verordnungsr. S. 155; Laband St. R. II S. 346 u. a. Anders dagegen bes. Loening a. a. O. S. 56 u. G. Meyer St. R. S. 603, die im Widerspruche mit Art. 7 Ziff. 2 R.Verf. dem Kaiser auch ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung eine Organisationsbefugnis beilegen.
  2. Eine solche gibt z. B. das Reichspostgesetz § 50, auf Grund dessen dann die vom Reichskanzler erlassene Postordnung (die Anstaltsordnung für die Post) unter anderem in § 18 XX von den allgemeinen Grundsätzen über die Schadensersatzleistung abweichende Normen über die Haftung der Postverwaltung für Postauftragssendungen aufgestellt hat. Die weitverbreitete Meinung, als ob auch solche das geltende Recht abändernde Normen mit die Benutzer verbindender Wirkung ohne besondere gesetzliche Ermächtigung in die Anstaltsordnungen aufgenommen werden könnten, da es sich einfach um Formulierung der Vertragsbedingungen handle, ist falsch, weil die Benutzung öffentlicher Anstalten garnicht auf Grund von Verträgen erfolgt. Darüber besonders O. Mayer a. a. O. II S. 319 326 ff., 330 ff.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/328&oldid=- (Version vom 1.8.2018)