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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

zu befriedigen; und sie können auch nicht immer so schnell funktionieren, wie das Staatsrecht es unter Umständen erfordert. Aus diesen Momenten schon ergibt sich das Bedürfnis nach den allgemeinen Ermächtigungen, die am häufigsten in den Gesetzgebungen begegnen: den Ermächtigungen zu Ausführungsverordnungen, Polizeiverordnungen und Notverordnungen.

III. Hinsichtlich ihres Inhaltes sind alle Verordnungen dem formellen Gesetze untergeordnet, indem dieses ihren möglichen Inhalt entweder bestimmt oder doch negativ begrenzt. Überall, wo ein Verordnungsrecht auf gesetzlicher Delegation beruht, kann der Inhalt der zu erlassenden Verordnung durch das delegierende Gesetz spezieller oder allgemeiner bestimmt sein; alle Ermächtigungen zum Erlasse von Ausführungsverordnungen zu bestimmten Gesetzen konstituieren schon der Natur der Sache nach lediglich ein inhaltlich bestimmtes Verordnungsrecht. Wo es aber an einer solchen inhaltlichen Bestimmung des Verordnungsrechtes fehlt, wie z. B. bei dem ohne besondere gesetzliche Grundlage bestehenden Verordnungsrechte oder dem Verordnungsrechte der unteren und mittleren Polizeibehörden in Preussen, findet dieses doch immer seine Schranke am formellen Gesetze. Aus der dem formellen Gesetze innewohnenden sog. formellen Gesetzeskraft (vgl. oben S. 285) folgt, dass alle Verordnungen sich innerhalb der von der formellen Gesetzgebung aufgestellten Normen zu halten haben. Nur wenn das formelle Gesetz selbst einer Verordnung ausdrücklich die Kraft beilegt, Gesetzesrecht zu brechen (Verordnungen mit Gesetzeskraft), wie dieses besonders bei den Notverordnungen (vgl. unten S. 302) der Fall ist, kann die Verordnung Gesetzesrecht beseitigen und abändern.

IV. Der eigentliche Träger des staatlichen Verordnungsrechtes ist in den monarchischen Einzelstaaten der Landesherr als der Chef der Exekutive. Er kann alle Verordnungen erlassen, die nicht gesetzlich ausdrücklich einem anderen Staatsorgane zugewiesen sind. Die Staatsbehörden dagegen können, soweit es sich nicht lediglich um Ausübung der Dienstgewalt handelt (vgl. unten S. 297), das Verordnungsrecht nur auf Grund ausdrücklicher Ermächtigung ausüben. Ob der Landesherr oder das andere mit dem Verordnungsrechte gesetzlich betraute Organ befugt ist, ein ihm unterstelltes Organ zum Erlasse der Verordnung zu ermächtigen, ist bestritten. Die herrschende Auffassung in der Theorie und die Praxis hält eine solche Delegation für zulässig, soweit nicht die Intention des Gesetzgebers im einzelnen Falle offensichtlich eine andere ist.[1] In den freien Städten wird das Verordnungsrecht vom Senate ausgeübt. Im Reiche ist der Bundesrat der präsumtive Träger des Verordnungsrechtes und daher berufen, die Reichsverordnungen zu erlassen, sofern nicht ein anderes Organ damit betraut ist. Allerdings ist dem Bundesrate diese allgemeine Kompetenz nicht durch eine positive Bestimmung der R.-Verf. beigelegt: Art. 7 Ziff. 2 ermächtigt ihn nur zur Beschlussfassung „über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas anderes bestimmt ist“, legt ihm also nur das Recht bei, Ausführungsverordnungen zu erlassen, und zwar nur solche, die materiell Verwaltungsverordnungen sind[2] (über diese vgl. unten VIII Ziff. 1). Allein aus der allgemeinen verfassungsrechtlichen


  1. Vgl. bes. Arndt, Verordnungsrecht S. 169 ff, wo auch die Praxis für Preussen und das Reich eingehend nachgewiesen ist; Jellinek a. a. O. S. 392; Schulze a. a. O. S. 30; Loening a. a. O. S. 229. And. Ans. Laband a. a. O. S. 96, Zorn a. a. O. S. 491. Jedenfalls spricht für die Zulässigkeit der Delegation auch die praktische Erwägung, dass die staatsrechtliche Verantwortlichkeit für die Verordnung immer dieselbe bleibt, d. h. vom Minister getragen wird, gleichgültig ob die Verordnung vom Landesherrn, vom Minister oder einer diesem unterstellten Behörde erlassen wird.
  2. Bestritten. Ebenso besonders Laband a. a. O. S. 83 ff. ; v. Seydel, St. R. S. 345, Komm. S. 139 ff.; O. Mayer a. a. O. S. 436 und in neuester Zeit auch die Praxis des Reichsgerichtes (Entsch. i. Zivils. 40 S. 70) und des Bundesrates selbst (v. Jagemann, D. dtsche. R.Verf., S. 94). Abweichend hiervon nehmen dagegen unter anderen G. Meyer a. a. O. S. 60413, Anschütz, Enzykl. S. 1 615; Zorn a. a. O. S. 48512 und, mit umfänglicher Begründung ihrer Ansicht, besonders Arndt, Verordnungsrecht, S. 35 ff. und Haenel, Stud. S 79 ff., St. R. I S. 282 ff. an, dass der Bundesrat auf Grund der Ermächtigung des Art. 7 Ziff. 2 auch Rechtsverordnungen erlassen könne. Diese Ansicht widerspricht dem klaren Wortlaute der Verf. „Verwaltungsvorschriften“. Gegen die Meinung Haenels und Arndts, dass das Wort „Verwaltungsvorschriften“ nicht bedeute Vorschriften für die Verwaltung, sondern einen subjektiven Sinn habe und diejenigen Vorschriften bezeichne, „welche nicht von den gesetzgebenden Faktoren, sondern von der „Verwaltung“, von den mit der vollziehenden Verwaltung betrauten Organen des Staates getroffen werden“, m. E. richtig Laband a. a. O. S. 87, 88.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/324&oldid=- (Version vom 1.8.2018)