Seite:Handbuch der Politik Band 1.pdf/323

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

In Anlehnung an den amtlichen Sprachgebrauch aber lassen sich die Ausdrücke Verordnung und Verfügung überhaupt nicht in allgemein gültiger Weise definieren, da er ein allzu verschiedener, unsicherer und schwankender ist, überdies noch eine Reihe anderer Namen für die Anordnungen der Exekutive hat (Reskripte, Erlasse, Entschliessungen), die unterschiedslos sowohl zur Bezeichnung von Verordnungen wie von Verfügungen in dem von uns festgestellten Sinne gebraucht werden.

3. Übrigens kommen Verordnungen und Verfügungen nicht nur als unmittelbare staatliche Willenserklärungen vor; auch die Anordnungen der öffentlichen Korporationen im Staate, insbesondere der Kommunalverbände, charakterisieren sich als Verordnungen oder Verfügungen.

II. Für die Frage, unter welcher Voraussetzung die Verwaltung zum Erlasse von Verordnungen befugt ist, d. h. ein subjektives Verordnungsrecht gegeben ist, kommt die Unterscheidung der (formellen) Verordnungen in Verwaltungsverordnungen und Rechtsverordnungen in Betracht.

1. Verwaltungsverordnungen, auch Reglements, Dienstanweisungen, Instruktionen, General- oder Zirkularverfügungen (s. oben unter I, 2) u. a. genannt, heissen diejenigen formellen Verordnungen, welche auch im materiellen Sinne Verordnungen sind (s. oben unter I, 1). Sie haben zu ihrem Gegenstande vorzüglich die Tätigkeit und die Organisation der Verwaltungsbehörden und die Benutzung der öffentlichen Anstalten (vgl. unten V zu 1, 2, 3). Die Befugnis der Organe der Verwaltung, solche Verordnungen zu erlassen, ergibt sich mit Notwendigkeit schon aus dem Zwecke ihrer Bestellung. Ist es die Aufgabe der Verwaltung, für Ausführung und richtige Handhabung der Gesetze zu sorgen, so muss ihr auch die Befugnis zustehen, diese durch allgemeine Anweisungen der zuständigen Beamten und Behörden zu regeln; desgleichen muss sie befugt sein, die zur Ausführung der Gesetze erforderlichen Behörden zu organisieren, wo die Gesetze selbst dieses nicht getan haben, und die Benutzung der Anstalten zu normieren, die Objekte ihrer Tätigkeit sind. Das Recht, solche Verwaltungsverordnungen zu erlassen, braucht daher der Regierung (und ebenso der öffentlichen Korporation) nicht besonders beigelegt zu werden; es steht ihr auch da zu, wo es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung fehlt. Anders verhält es sich mit den Rechtsverordnungen.

2. Rechtsverordnungen heissen diejenigen formellen Verordnungen, welche materiell Gesetze sind, d. h. einen Rechtssatz enthalten, der den Rechtsstand der Regierten normiert. Zum Erlasse dieser Verordnungen bedarf die Verwaltung stets ausdrücklicher gesetzlicher Ermächtigung. Denn, da die Setzung von Rechtsnormen nach dem Verfassungsrechte der Einzelstaaten wie des Reiches prinzipiell im Wege der Gesetzgebung zu erfolgen hat, kann ein Verwaltungsorgan sie nur auf Grund gesetzlicher Delegation vornehmen.[1] Es gibt kein sog. selbständiges Verordnungsrecht der Organe der Exekutive, soweit es sich um Rechtsverordnungen handelt. Die erforderliche Ermächtigung kann erteilt sein in der Verfassung wie in einem einfachen Gesetze, auch in einer vorkonstitutionellen (sogar in einer gewohnheitsrechtlichen) Norm, die den Charakter eines materiellen Gesetzes hat.[2] Das Bedürfnis zu solcher „Delegation der gesetzgebenden Gewalt“ ist in allen konstitutionellen Staaten aus verschiedenen Gründen gegeben: die umständlich und schwerfällig arbeitenden gesetzgebenden Körperschaften können unmöglich alle Detailvorschriften beraten, die die Ein- und Ausführung vieler Gesetze erforderlich macht; sie können nicht in Aktion treten, um die so zahlreichen und verschiedenen lokalen Bedürfnisse nach rechtlichen Regelungen


  1. So die heute herrschende Auffassung, die auf Grund eingehender allgemeiner, rechtsgeschichtlicher und -vergleichender Untersuchungen gewonnen und wissenschaftlich vertieft ist besonders von Jellinek, speziell für das Reichsstaatsrecht von Laband, Haenel und v. Seydel (Komm.), speziell für Preussen von Anschütz, für Bayern von v. Seydel (Bayer. St. R.). Gegner derselben jetzt noch vor allem Arndt, Zorn, Bornhak, die namentlich für Preussen und das Reich das Bestehen eines selbständigen Verordnungsrechtes in dem Sinne behaupten, dass der Träger der Staatsgewalt überall da befugt sei, durch Verordnungen Rechtsverhältnisse zu regeln, wo dem ein Gesetz nicht entgegenstehe. Gute Übersicht über den Stand der Literatur bei G. Meyer St. R. S. 5637, 5736.
  2. Haenel, Studien II, S. 64, 282; Jellinek, a. a. O. S. 373; Anschütz, Begriff, S. 174.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/323&oldid=- (Version vom 1.8.2018)