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Zu den Reichsgesetzen gehören auch die sog. Landesgesetze für Elsass-Lothringen. Diese sind ihrem inneren Wesen nach Reichsgesetze und nicht Landesgesetze wie die Gesetze der deutschen Einzelstaaten. Sie werden erlassen von der Reichsgewalt und nicht von einer von dieser verschiedenen Landesstaatsgewalt, wie eine solche über Elsass-Lothringen überhaupt nicht besteht. Als Landesgesetze erscheinen sie nur äusserlich insofern, als sie nur in dem Reichslande Geltung haben, gegenständlich sich auf diejenigen Angelegenheiten beziehen, die im übrigen Reichsgebiete den Bereich der Landesgesetzgebung ausmachen und auch, nicht wie die gewöhnlichen Reichsgesetze, sondern in einem durchaus dem Wege der Landesgesetzgebung nachgebildeten Prozesse zustande kommen (vgl. unten S. 291).

IV. Das Zustandekommen des formellen Gesetzes vollzieht sich in bestimmten aufeinander folgenden Akten, die zusammenfassend der „Weg der Gesetzgebung“ genannt werden. Die Zahl und die Reihenfolge dieser Akte ist in den monarchischen Einzelstaaten und im Reiche dieselbe, nur ihre Ausgestaltung im einzelnen ist hier und dort eine mehrfach verschiedene; in den freien Städten dagegen vereinfacht sich der Gesetzgebungsprozess durch den Wegfall des Sanktionsaktes.

1. Der Weg der Gesetzgebung in den monarchischen Einzelstaaten.

a) Er beginnt für die juristische Betrachtung mit der Einbringung des Gesetzentwurfes bei der Volksvertretung. Alles was dieser vorangeht, insbesondere die Ausarbeitung des Entwurfes, die durch ein staatliches Organ wie auch von privater Seite stattfinden kann, entzieht sich der rechtlichen Erörterung. Das Recht, einen Gesetzentwurf einzubringen, die sog. Initiative, hatte nach dem älteren Verfassungsrechte regelmässig allein der Landesherr, heute steht es nach den meisten Verfassungen wie diesem so auch der Volksvertretung zu. Wo das Zweikammersystem besteht, hat jede der Kammern das Recht der Initiative, und in jeder Kammer kann wieder jedes Mitglied, wenn es die geschäftsordnungsmässige Unterstützung findet, die Beratung eines Gesetzentwurfes beantragen. Die Regierung kann in Staaten mit dem Zweikammersysteme ihre Gesetzesvorschläge nach Belieben entweder der ersten oder der zweiten Kammer zuerst vorlegen, wie auch sie in beiden zugleich einbringen. Nur den Staatshaushaltsetat und andere die Finanzen betreffende Gesetzentwürfe ist die Regierung verpflichtet, zuerst der zweiten Kammer vorzulegen, und soweit dieses der Fall ist, kann auch ein Recht der Initiative der ersten Kammer auf dem Gebiete der Finanzgesetzgebung nicht angenommen werden.[1]

b) Das zweite Stadium ist das der Feststellung des Gesetzesinhaltes, d. h. aller Bestimmungen, die Gesetz werden sollen. Diese erfolgt durch Vereinbarung der Regierung mit dem Landtage,[2] und zwar so, dass dabei die beiden, oder, wo das Zweikammersystem besteht, die drei gesetzgebenden Faktoren völlig gleichberechtigt sind. Jeder von ihnen kann den Entwurf nicht nur annehmen oder ablehnen, sondern auch Abänderungen und Zusätze („Amendements“) zu ihm beschliessen und von deren Annahme seitens der anderen Faktoren seine Zustimmung zum Ganzen abhängig machen. Nur die erste Kammer, und auch sie nur in Preussen und Hessen, ist in ihrer Beschlussfassung beschränkt, wenn es sich um den von der zweiten Kammer an sie gelangenden Staatshaushaltsetat handelt, indem sie diesen nur im ganzen annehmen oder ablehnen, nicht aber Änderungen zu einzelnen seiner Positionen beschliessen darf.[3] Kommt eine Vereinbarung der gesetzgebenden


  1. Die Frage ist allerdings bestritten; vgl. G. Meyer St. R. S. 5667, Arndt, Komm. z. Preuss. Verf., Anm. 2 zu Art. 64.
  2. Die Frage, ob auch die Eingangsworte des Gesetzes „Wir . . .“, die auch Bestimmungen von materieller Bedeutung z. B. über den örtlichen Geltungsbereich oder die Geltungsdauer des Gesetzes enthalten können, der Zustimmung der Volksvertretung bedürfen, ist mit Schulze a. a. O. S. 21 u. G. Meyer, Anteil, S. 57 zu bejahen, wie denn auch in der Praxis die Zustimmung der Volksvertretung auf sie ausgedehnt wird. And. Ans. Laband a. a. O. S. 32 f.
  3. In Baden und Württemberg, wo nach den Verf. Urk. § 60 und § 181 die erste Kammer eine ähnliche Stellung gegenüber allen von der zweiten Kammer beschlossenen Finanz- bezw. Abgabenbewilligungsgesetzentwürfen hatte, ist ihr durch die verfassungsändernden Gesetze 24. Aug. 1904 und 10. Juli 1906 auch diesen Gesetzentwürfen gegenüber das Amendierungsrecht eingeräumt, bei Staatshaushaltsetats allerdings nicht mit der gewöhnlichen Wirkung, indem diese bei wiederholt abweichender Beschlussfassung der zweiten Kammer doch in der von dieser beschlossenen Form für angenommen gelten.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/316&oldid=- (Version vom 1.8.2018)