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geboten sein (Wertzuwachssteuer). Für eine rückwirkende Kraft wird immerhin der Anlass überwiegend beim öffentlichen Rechte gegeben sein. Nach einer anderen Richtung bedenklich und nicht immer genügend gewürdigt ist es, wenn der Gesetzgeber den Zeitpunkt der Geltung eines Gesetzes schon auf den Tag der Verkündung legt, an dem nur selten jemand von dem Gesetze eine rechte Kenntnis haben wird. Darin steckt ein Stück rückwirkender Kraft.

Das Gesetz muss eine Stütze in der Überzeugung des überwiegenden Teiles der Bevölkerung (nicht immer ziffernmässig) suchen; es muss in diesem Sinne national sein. Übertrieben ist aber die Ansicht Montesquieus (Esprit des lois I 13): Les lois doivent être tellement propres au peuple pour lequel elles sont faites que c’est un très grand hasard si celles d’une nation peuvent convenir à une autre.

Der moderne Verkehr verlangt nach einem und führt zu einem Ausgleich der Rechtsverschiedenheiten durch Herübernahme bewährter Ordnungen aus anderem Staate; er macht sich Erfahrungen, ja Formulierungen zunutze. Solch bewusste Rezeption birgt an sich keine Gefahr, da sie eine Auslese treffen kann. Wir sehen sie am Werke, wenn sich die Wissenschaft in ihren Dienst stellt, indem sie die Schätze des Auslandes auf ihre Verwertbarkeit für das Heimatrecht durchmustert. Sie zeigt unter Umständen eine gewisse Uninteressiertheit, ein Fehlen der Verknüpfung mit Interessen eines herrschenden Standes, weshalb uns die Geschichte früher Zeiten zuweilen von der sonst auffallend erscheinenden Forderung der niederen Volksklassen berichtet, die Gesetze von auswärts zu holen. Die Aufstellung Benthams hinwieder, dass der Ausländer für die Gesetzgebung gerade der geeignete Mann sei, richtet sich durch ihr Übermass von selbst.

Für die Verhältnisse innerhalb Deutschlands wird man bei der an sich wünschenswerten Freiheit der Einzelstaaten m der Gestaltung ihres Rechts doch als Anforderung der Gesetzgebungspolitik hinstellen müssen: Fühlung zwischen den einzelnen Staaten auf dem ihnen verbleibenden Gebiete der Gesetzgebung, um die Rechtsverschiedenheit möglichst in engen Grenzen zu halten. Die kleineren Staaten lehnen sich deshalb, vielfach sogar durch wörtliche Übernahme, an die Gesetzgebung der grossen Staaten namentlich Preussens, an. Für Anregungen und Abreden hierüber bietet sich nicht selten ohne offizielle Zuständigkeit im Bundesrate das geeignete Mittelsorgan.

In dieser Art entsteht eine „Parallelgesetzgebung“ der Staaten, die natürlich nicht auf Gliedstaaten eines Bundes beschränkt zu sein braucht.

Andererseits wird man nunmehr von dem Reichsgesetzgeber fordern müssen, dass er bei jedem Gesetze erwägt, ob und inwieweit ihm eine Anwendung in den Kolonien zuteil werden solle. Hierfür sind erfreuliche Ansätze vorhanden; aber doch erst Ansätze.

2. Beschaffung des Stoffes.

Für die Herbeischaffung des Stoffes, des Inhalts der Rechtsgedanken, die in dem Gesetze geformt werden sollen, genügt nicht die (unerlässliche) Kenntnis der kulturellen Voraussetzungen für das Gesetz: als Grundlage ist Kenntnis des vorhandenen Gesetzesbestandes zu erfordern und der Behandlung, die er in Rechtsprechung und Wissenschaft erfahren hat. Aus diesem Grunde schon überwiegt für die Vorbereitung und Ausarbeitung unter den gesetzgebenden Faktoren die Regierung.

Die zentralen Verwaltungsbehörden sind für ihren Bereich in der Regel auch mit den vorbereitenden Arbeiten für die Gesetzgebung betraut. Sie setzen ihrerseits durch Umfragen (regelmässige Berichte oder für den bestimmten Zweck) die unterstellten Amtsorgane in Bewegung. Das Reich allerdings ist meist noch auf den Umweg über die Zentralinstanzen der Einzelstaaten verwiesen. Es ist deshalb nicht selten, dass Gesetzentwürfe für das Reich von den preussischen Behörden bearbeitet werden: ein nicht entsprechendes Verhältnis, das in dem nicht vollendeten Ausbau der Reichsorgane seinen Grund hat. Andererseits stellt das Reich oft den eigenen Organismus zur Beschaffung des Materials über die einschlagenden Verhältnisse des Auslandes zur Verfügung. Neuerdings wird diese Erkenntnisquelle gelegentlich durch Studienreisen amtlich beteiligter Personen in das Ausland verstärkt (z. B. für die Kolonialgesetzgebung), oder es wird die Wissenschaft

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/308&oldid=- (Version vom 1.8.2018)