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2. das Wissen von der Wirtschaft, Wirtschaftswissenschaft. Zur Staatswissenschaft in diesem Sinne kann das Staatsrecht als Ganzes so wenig gehören wie die ganze Politik und die allgemeine Staatslehre als solche. Ihre Teile sind Staats-, Einzel- und Volkshaushalts-Lehre, somit Finanzwirtschaft, Privat- und Volks-Wirtschaftslehre. Wie die Wirtschaftswissenschaft zum Namen Staatswissenschaft kommt, ist eigentümlich. Es erklärt sich rein äusserlich. Zur wissenschaftlichen Ausbildung ihrer in den Staatswirtschaftszweigen zu verwendenden Beamten gründeten die Staaten im 19. Jahrhundert zum Teil besondere staatswirtschaftliche Fakultäten. Als infolge der fortschreitenden Differenzierung der Wissenschaften für bestimmte Zweige der Staatswirtschaft Spezial-Hochschulen (forst- und landwirtschaftliche Akademien) entstanden, schieden diese in erster Linie den Namen Wirtschaft führenden Fächer aus den genannten Fakultäten aus. Man änderte daher ihre Bezeichnung und nannte sie, weil ihre Aufgabe im Gegensatze zu den Rechtsfakultäten war, für den Staats- und nicht für den Rechtsdienst vorzubereiten, staatswissenschaftliche Fakultäten. In ihnen waren aber nur Finanz, Nationalökonomie und Statistik verblieben. Daher die Beschränkung der Bedeutung auf die Wirtschaftswissenschaften.[1]

3. das Wissen, das vorwiegend der Erkenntnis des Staates und nicht des Rechtes dient: allgemeine Staatslehre, Politik, Staatsrecht, Nationalökonomie und Finanz, also eine Vereinigung der zwei anderen Bedeutungen und demgemäss in juristische und wirtschaftliche Staatswissenschaften zerfallend.

E) Das Ergebnis alles bisherigen ist: Politik, Staatslehre und Staatswissenschaft besagen der Wortbedeutung nach dasselbe, ihre technischen Bedeutungen dagegen gehen mehr oder weniger stark auseinander.

II. Begriff politisch.

Noch mehr Bedeutungen als Politik hat politisch. Politisch bedeutet:

1. staatlich. Das ist der ursprüngliche und wörtliche Sinn. Polis heisst Burg, dann Stadt mit umgebendem Landgebiet (χώρα)[2]. Weil der griechische Staat Stadtstaat war, wurde Polis auch der Name für Staat. Politische Gemeinde ist die staatliche Gemeinde im Gegensatz zur kirchlichen. Im Sinne von staatlich steht das Wort in den Verbindungen politisches Testament, politische Geschichte, politische Taktik, Presse, Versammlung, politisches Delikt, politische Bildung. Politischer Faktor hat zum Gegensatz z. B. den wirtschaftlichen, politische Partei die wirtschaftliche oder konfessionelle.

2. die Machtseite des Staates betreffend. Mit diesem zweiten Sinne beginnen die engeren Bedeutungen des Wortes. Sie erklären sich aus Verschiedenem, teils daraus, dass Macht die hervorstehendste Eigenschaft des Staates bildet, teils daraus, dass für das Staatsleben das wichtigste ist zu wissen, wie man es am zweckmässigsten gestaltet. Wenn man den Begriff politische Beamte im Gegensatz zu Finanz- und Justizbeamten stellt, versteht man darunter Beamte für die Machtseite des Staates.

3. die tatsächliche Macht des Staates betreffend. Gleichbedeutend ist die Autorität, das Ansehen des Staates betreffend. Den Gegensatz bildet rechtliche Macht (Hoheit). Der Seniorenkonvent des Reichstages ist ein tatsächlicher, kein rechtlicher Staatsfaktor.

4. die oberste Staatsmacht, die Staatsleitung, das Verfassungsleben betreffend. Politische Parteien im Gegensatz zu kommunalen oder wirtschaftspolitischen. Politische Beamte im Gegensatz zu administrativen, politische Minister und Staatssekretäre im Gegensatze zu Verwaltungsministern. Kein politischer Minister ist der Justizminister. Politische Rechte im Gegensatze zu bürgerlichen.

5. die oberste Macht des Staates im Staatenverkehr, also die Stellung als Macht nach aussen betreffend: politisches Gleichgewicht; politische Verträge (Allianzen) im Gegensatz zu Verwaltungsverträgen (Handels-, Auslieferungsverträge).


  1. v. Mayr, Begriff und Gliederung der Staatswissenschaften 3. Aufl 1910.
  2. Jellinek. 292.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)