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hierauf geschieht in Massnahmen wie sie der römische Jurist in die oft gebrauchten, wenn auch nicht die gesamte Gesetzesmacht umspannenden[1] Worte kleidet : legis virtus haec est imperare, vetare, permittere, punire. Das Gesetz stützt sonach die Aufgabe des Rechtes, und sein Inhalt erschöpft sich der Idee nach in der Schaffung (Änderung, Beseitigung) eines Rechtszustandes. „Gesetz und Recht“ werden darum schon frühe – bei den Römern nicht minder als auf deutschem Boden – als Synonyme oder als formelhafter Typ verwendet (als Beispiel der vorkonstitutionellen Zeit § 60 Einleitung des preussischen allgemeinen Landrechts von 1794).

Ordnung schaffen wirkt in nicht voraussehbare Ferne. Nur selten wird sich das Setzen einer Ordnung an einem zur Entscheidung vorliegenden, zu einer Entschliessung des obersten Staatsorganes Anlass gebenden Falle erschöpfen. Die Tätigkeit des Gesetzgebers und des Richters liegen allerdings in früher oder doch nicht schon zu grundsätzlicher Scheidung in den Gewalten neigender Zeit noch beieinander; zur Verdeutlichung: die „Richter“ im Alten Testamente, die römischen Kaiser und die Päpste in ihren Reskripten – nicht ohne Interesse ist die Beobachtung, dass die grossen Verfassungsakte in England ihre Bezeichnungen dem Prozesse entlehnen: petition, declaration (Klagegrund), bill (Klageantrag).[2] Privilegien sind der Vorläufer allgemeiner Regelung. Doch entspricht dies wenig dem Wesen einer „Regel“ als einer weiterhin wirkenden allgemeinen Richtschnur; es verlockt vielmehr die Verwischung der unterscheidenden Merkmale, wie die Geschichte lehrt, zum Versuche, von hoher Hand in die Verhältnisse des einzelnen einzugreifen (Privilegien als Seitenstücke oder Ausfluss der Kabinettsjustiz). Ein Vorgang allerdings trägt seinem Wesen nach den Stempel der Regelung eines blossen Einzelfalles, d. i. die Ausnahme von der Regel des Gesetzes, der Dispens. Rechtspolitisch ist die Dispensation eine nicht unbedenkliche Erscheinung (Steuern!), wenn man den Wert gesetzlicher Regelung in dem gleichen Masse für alle erblickt. Eine Anerkennung dieser Auffassung liegt in gesetzlicher Regelung, wie sie z. B. § 6 der neuen Landschaftsordnung für das Herzogtum Braunschweig vom 12. Oktober 1832 enthält: „Der Landesfürst kann in einzelnen Fällen Dispensationen von den gesetzlichen Vorschriften erteilen, jedoch, insofern dritte Personen wegen ihrer Rechte beteiligt sind, nur mit deren Zustimmung“. Indessen ist auch dies im konstitutionellen Staate kein Satz mit allgemeiner Geltung. Freilich kann die Notwendigkeit einer Zulassung von Ausnahmen mit der allgemeinen Regelung von selbst gegeben und vorauszusehen sein (z. B. für Ehehindernisse, Bauvorschriften): hier ist es dann Aufgabe des Gesetzgebers, durch Zuteilung der Prüfung und Entscheidung über die Ausnahme an ein nachgeordnetes Organ für eine Regelung Sorge zu tragen, die – mit den gehörigen Schutzmassnahmen – die Sache ein für alle mal bestimmten Verwaltungsinstanzen zuweist.

Die Zeit des Absolutismus trug bei dem Zusammenfliessen der Funktionen des Gesetzgebers und des höchsten Exekutivorgans in der Person eines Machthabers wenig Bedenken, auch über Einzelfälle durch „Gesetz“ zu bestimmen. In der konstitutionellen Zeit dagegen ist die Regelung eines einzelnen Falles selten geworden und wird selbst bei einleuchtendem Grunde (Ausdehnung des gesetzlichen Schutzes für Richard Wagners „Parsifal“ ?) vermieden. Doch fehlt es auch hier nicht ganz an Beispielen.[3]


  1. Versprechen in einem Gesetze, ein Gesetz zu erlassen, lassen sich nicht ungezwungen darunter bringen.
  2. Hatschek, Englisches Verfassungsrecht I 243.
  3. Beispiele aus konstitutioneller Zeit: das Bundesgesetz vom 21. Juli 1870 über die Verlängerung der Legislaturperiode des damals tagenden Reichstages; das preussische Gesetz über die Versorgung der hinterbliebenen beiden Kinder des ermordeten Polizeirates Rumpff (je 2745 M. jährlich) vom 17. April 1885 (Ges. Samml. S. 116). Das G. v. 12. 6. 1892 (G.-S. 127) über die Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse in Neuvorpommern und Rügen konnte nur noch für 2 Bauerngüter praktisch werden! Anderseits: die bayrische Regierung entschied sich bei der Frage der Aufhebung der Regentschaft in dem Verfassungsgesetze vom 5. November 1913 für die allgemeine Regelung. In Preussen scheiterte 1854 ein Gesetzentwurf auf Verlängerung des Schutzes für Schillers Werke (das billigte Jacob Grimm 1859, Kleinere Schriften 1 397).
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/294&oldid=- (Version vom 1.8.2018)