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Augenblicke durch Beobachtung festgehaltenen Individuen der Bevölkerung (Bestandsmassen) – oder sie sind aus im Laufe der Zeit aufeinanderfolgenden einzelnen Erscheinungen zusammengesetzt, wie z. B. Geburten und Sterbfälle, Verbrechen (Bewegungsmassen).

Die elementare Beobachtung aller dieser Massen an sich kann man im weitesten Sinn, wenn man nur deren technische Seite ins Auge fasst und nicht berücksichtigt, in wie weit dabei private oder amtliche Bemühung in Frage ist, als statistische Kunst bezeichnen. Ihre Ausschlaggebende Bedeutung für die Erkenntnis der sozialen Massen aber gewinnt diese statistische Kunst, infolge der dadurch gebotenen autoritären Unterlage für die wirksame Durchführung der für diese Erkenntnis erforderlichen Massenfeststellungen, erst in der Ausgestaltung der Verwaltungsstatistik, mittelst Übernahme der Funktion dieser in Zahl und Mass durchgeführten erschöpfenden Massenbeobachtung unter die Dienstaufgaben der öffentlichen Verwaltung.

Dabei muss man zwei Hauptarten dieser statistischen Verwaltungstätigkeit unterscheiden, und zwar das, was als sekundäre und als primäre statistische Beobachtung oder kurzweg als primäre oder sekundäre Statistik bezeichnet werden kann.

Sekundäre Statistik liegt vor, wenn die primäre Beobachtung der in Frage kommenden Massen-Zustände oder -Erscheinungen nicht aus statistischem Interesse, sondern aus anderweitigem öffentlichen Interesse in entsprechender aktenmässiger Feststellung erfolgt. In Verwirklichung der fortlaufenden öffentlichen Sorge für Rechtswahrung, Sicherungsdurchführung und Kulturförderung aller Art der in Gemeinwesen vereinigten menschlichen Gesellschaft ergeben sich intermittierend, ganz besonders aber fortlaufend Feststellungen amtlicher Art über soziale Massen und deren Elemente. Als Beispiele von intermittierenden Bestandsermittlungen seien Feststellungen über Wahlberechtigte, Heeresdienstpflichtige usw. erwähnt, als fortlaufende Ermittlungen die Feststellungen in den Standesregistern, in den aktenmässigen Verzeichnungen auf dem gesamten Gebiet der Rechtspflege sowie der verschiedenen einzelnen Verwaltungsgebiete angeführt. Die spezifisch statistische Beobachtung knüpft hier erst als sekundäre Operation an, indem die ursprünglichen aktenmässigen Verzeichnungen die Grundlage für die Gewinnung daraus abgeleiteter statistischer Information benützt werden. Zu diesem Zweck setzt unter Benützung der aktenmässigen Vorfeststellungen dann die besondere statistische Aktion unter Nutzbarmachung der speziellen statistischen Technik der geeigneten Ausgestaltung des aus den Akten in zutreffender Form zu entnehmenden Urmaterials ein und weiter die Technik der entsprechenden Ausbeutung dieses Urmaterials und der weiteren zahlenmässigen Zusammenfassung und rechnerischen wie gelegentlich auch graphischen Veranschaulichung des gesamten tabellarischen Ausbeutungsergebnisses. Als Beispiel sei erwähnt die Anfertigung besonderer nur den statistischen Zwecken dienenden Zählkarten aus den Standesregistern und aus den Strafprozessakten zur Bereitstellung spezifisch statistischen Urmaterials für die Statistik der Geburten, Eheschliessungen und Sterbefälle und für die Kriminalstatistik.

Bei der primären Statistik erfolgt die erstmalige Feststellung von Elementen gewisser sozialer Massen nicht bei anderer als statistischer Verwaltungstätigkeit, sondern das statistische Interesse führt als solches zu solcher Feststellung; die statistische Beobachtung ist in diesem Fall Selbstzweck der spezifisch statistischen Verwaltungsbetätigung. Das auf diese Weise aus der Ausgestaltung der verwaltungsstatistischen Beobachtung gewonnene Urmaterial ist gewissermassen nicht ein aus anderweitiger Verwaltungsbetätigung erwachsenes Nebenprodukt, sondern das ausschliessliche oder doch das Hauptprodukt der in diesem Falle direkt auf statistische Information abzielenden Verwaltungsaktion. Das schliesst nicht aus, dass in diesem Falle das Material, das zunächst primärstatistischen Charakter trägt, auch nach anderweitigen Verwaltungszwecken dienstbar gemacht wird.

Als ein Hauptfall solcher primärstatistischen Ermittlungen sind die gewöhnlichen Volkszählungen und die in besonderer Richtung erweiterten und mit wirtschafts- und sozialstatistischen Zutaten bereicherten Berufs- und Betriebszählungen anzuführen. Der primärstatistische Charakter des hierdurch gewonnenen Materials wird gelegentlich zur Erhöhung der mutmasslichen Sicherheit der Ermittlung ausdrücklich betont, wenn z. B. seitens der Erhebungsbehörden ausdrücklich erklärt und dies wohl auch in die Erhebungsformulare aufgenommen wird, dass eine

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/256&oldid=- (Version vom 31.7.2021)