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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Wie in der Finanzpolitik des Staates die allgemeine Richtung seiner Wirtschaftspolitik und seiner Sozialpolitik den kürzesten und schlagendsten Ausdruck findet, so ist auch die Finanzpolitik der Gemeinden der Mittelpunkt der Gesetzgebung und Verwaltung. Die Herstellung des Gleichgewichts zwischen Ausgaben und Einnahmen ist die Aufgabe aller Finanzpolitik, so auch der kommunalen. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Steigt die Bevölkerung, so steigen die Aufgaben und steigen die Aufgaben, so steigen die Ausgaben. Deren Zunahme aber entspricht nicht nur dem Wachsen der Bevölkerung, sondern übersteigt bei weitem die Bevölkerungsentwicklung. Die Gründe dafür sind nicht allzuschwer zu sehen. Sie liegen zunächst in der allgemeinen Staatspolitik. Seitdem der Staat bei der Bewilligung von Ausgaben für seine Zwecke häufig auf den Widerstand der Parlamente stösst, ist es ein häufig verwendetes Mittel der Staatspolitik geworden, Lasten, die ehedem der Staatsbürger als solcher trug, jetzt auf die Gemeinden und ihre Bürgerschaft abzuwälzen. Diese Staatspolitik kann vielleicht insofern auch aus Gründen der Billigkeit gerechtfertigt werden, als ja der Zuwachs der Bevölkerung in erster Linie den Städten zugute kommt und in ihnen auch das Wachstum des Reichtums am stärksten zutage tritt. Aber es ist selbstverständlich, dass diese Uebertragung von Staatsausgaben auf die Gemeinden in der Finanzpolitik der Gemeinden insofern ihre unerfreulichen Wirkungen äussern muss, als die Gemeinden hier einer Erhöhung ihrer Ausgaben sich gegenüber sehen, die von ihren eigenen Plänen ganz und gar unabhängig ist. Eine weitere Ursache der Steigerung der Ausgaben in den Gemeinden liegt in der Zunahme der Ausgaben der grösseren Kommunalverbände, die ihrerseits wieder gedeckt werden müssen in erster Linie von den kleineren Kommunalverbänden, insbesondere von den Städten. Und endlich sind, wie schon verschiedentlich hervorgehoben worden ist, die Aufgaben der Gemeinden selbst gewachsen an Zahl und an Umfang. Die meisten dieser Aufgaben sind nicht ohne Bereitstellung grosser Mittel durchzuführen. Es kann aber auch nicht verkannt werden, dass hier und da in den Gemeinden, wie übrigens auch im Staate, sich die Neigung zeigt Ausgaben zu machen, durch die die Gemeinde lediglich ihr äusseres Ansehen, nicht aber die Wohlfahrt ihrer Bürger fördert, ein Bestreben, das mit der allgemeinen Neigung zusammenhängt, die äussere Erscheinung über das Wesen der Dinge zu setzen. Auf der anderen Seite wird auch durch eine falsche Art von Sparsamkeit und durch eine falsche Zurückhaltung gegenüber den Bedürfnissen, zumal durch eine verfehlte Bodenpolitik, nicht selten eine Ausgabe verursacht, häufiger noch eine Ausgabe vermehrt, die bei schneller und richtiger Erfassung der Lage ganz oder wenigstens teilweise hätte erspart werden können. Es dürfte eine Binsenweisheit sein, dass Sparsamkeit am falschen Platze Verschwendung ist, dass, wer aus Sparsamkeit es versäumt das Dach zu flicken, schliesslich genötigt ist die Mauer von neuem aufzuführen. Und doch sind derartige Erfahrungen des täglichen Lebens in der Politik der grösseren Verbände keineswegs immer richtig beherzigt worden.

Wie die Gemeinde bei der Frage der zu deckenden Ausgaben nicht selten mit der Staatspolitik in Konflikt gerät, so ist sie auf der anderen Seite auch bei der Beschaffung der Deckungsmittel in engster Abhängigkeit von der Politik der Staatsverwaltung; eine Abhängigkeit, die zumal in den Bestimmungen zum Ausdruck kommt, die ihre finanziellen Massnahmen der Aufsicht der Staatsbehörde unterworfen. Staat und Gemeinden bewirtschaften ja beide dasselbe Feld, um von ihm Einnahmen zu erzielen, und die Auseinandersetzung zwischen dem engeren und dem weiteren Verbande wird notwendig gerade an dieser Stelle besonders schwierig sein. Da die Besteuerung des Einkommens und des Vermögens auf der einen Seite, die Besteuerung der Nahrungs- und Genussmittel auf der anderen Seite in erster Linie den Staatszwecken dient, in Deutschland die eine denen der Einzelstaaten die andere denen des Reichs, so bleibt für die Gemeinden nur ein verhältnismässig kleines Gebiet aus dem sie ausschliesslich ihre Einkünfte beziehen können. Hier sind von besonderer Wichtigkeit einerseits die Steuern auf das Gewerbe und andererseits die Steuern vom Grund und Boden, die zweckmässig deshalb den Gemeinden überwiesen werden, weil sowohl die Entwicklung der gewerblichen Verhältnisse wie die Gestaltung der

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/252&oldid=- (Version vom 31.7.2021)