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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

Die Wohnungsfürsorge ist das wichtigste Mittel zur Pflege der körperlichen, geistigen und sittlichen Gesundheit der Bevölkerung. Die Körperpflege zumal ist, wie schon bemerkt wurde, mehr und mehr ein Gebiet der Gemeinde-Politik geworden. Die Fortschritte der Volkshygiene fordern Massnahmen der Gemeinden nach den verschiedensten Richtungen. Sie fordern zunächst, dass, wie die Wohnungen, so auch die Verkehrswege und Verkehrsmittel in gesundheitsgemässem Zustande sich befinden, sie fordern ferner, dass für die Pflege der Gesundheit des einzelnen die Gemeinden überall da eintreten, wo der Einzelhaushalt nicht mehr zu dieser Pflege ausreicht. Dass die Kindersterblichkeit und dass die Kinderkrankheiten mit durchgreifendem Erfolge nur bekämpft werden können im Wege einer allgemeinen Fürsorge, ist heute eine nicht mehr bestrittene Erkenntnis. Die Kinderpflege beginnt mit der Fürsorge für die Säuglinge und endigt mit der Fürsorge für die Erwachsenen. Auf diesem ganzen Entwicklungswege wird das Kind von der Fürsorgetätigkeit der Gemeinde begleitet. Die Fürsorge für die Gesundheit der Erwachsenen erschöpft sich heute keineswegs in vorbeugenden Massnahmen, sondern die Gemeinde muss notwendig den Mitgliedern die Lebensmittel zur Verfügung stellen, die heute in gesundheitsmässigem Zustande nur durch grössere Verbände beschafft werden können oder wenigstens durch Anstalten solcher Verbände zum Genuss vorbereitet werden können: Man denke an die Wasserversorgung und die Versorgung mit Fleisch; die Beschaffung von Badegelegenheit, von Gelegenheiten zur Erholung, zur körperlichen Kräftigung, reihen sich diesen Massnahmen an. Aelter als die vorbeugende Volksgesundheitspflege ist die Fürsorge im Falle der Krankheit. Sie ist aber durch die vorbeugende Gesundheitspflege keineswegs überflüssig geworden, sondern nach wie vor haben die Gemeinden zu sorgen für die Heilung der Kranken und erfüllen diese Pflicht nicht nur durch Erbauung von Krankenhäusern, sondern auch durch die Hergabe von Erholungsstätten für die Genesenden. Und über das Leben hinaus sorgt die Gemeinde auch für die abgeschiedenen Mitglieder, indem sie Friedhöfe bereit stellt und dazu übergeht, die Beerdigung auf diesen Friedhöfen in eigene Verwaltung zu nehmen, wie es denn auch die Gemeinden gewesen sind und sein werden, die die für die Feuerbestattung nötigen Anstalten besorgen.

Dass die Fürsorge für die geistige Ausbildung und Versorgung der Bevölkerung eine Gemeindeaufgabe sei, ist, seit die Schule eine öffentliche Anstalt geworden ist, ein feststehender Satz der Kommunalpolitik. Zwar ist in der deutschen Schulverfassung den Gemeinden die volle Verwaltung der Volksschule nicht belassen, sondern in ihrer Hand befindet sich nur die sogenannte äussere Schulverwaltung auf diesem Gebiete; uneingeschränkt aber hat sie die Fürsorge für diejenigen Schüler, die die Volksschule nicht besuchen. Die Errichtung von Mittelschulen, die Errichtung von höheren Schulen und die Organisation dieser Schulen gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Gemeinden. Es liegt auf der Hand, dass die Gemeinde für das Schulwesen insofern besonders befähigt ist, als eine gute Schulverwaltung fordert, dass die Eltern, die ihre Kinder der Schule anvertrauen, Vertrauen zu einer richtigen Schulpflege haben können, und dieses Vertrauen wesentlich dadurch gemehrt wird, dass die Organisation der Gemeinde Gelegenheit gibt auf die Schulverwaltung Einfluss zu üben. Wenn in neuerer Zeit die Gemeinden sogar dazu übergehen, dem Hochschulwesen sich zuzuwenden, so wird hierin nur das Streben zu erblicken sein, die besonderen Eigentümlichkeiten, die jede Gemeinde in sich ausbildet, nutzbar zu machen auch für die Spezialausbildung in den Berufen. Und vielleicht ist die Uebernahme dieser Pflichten durch die Gemeinde ein nicht zu unterschätzendes Mittel den zentralisierenden Bestrebungen auf dem Gebiete des Hochschulunterrichts eine gesunde Gegenwirkung entgegenzustellen.

Die Fürsorge für das geistige Wohl der Bevölkerung endigt mit der Schule nicht. Die Beschaffung von Volksbibliotheken, die Gründung von Museen, die Veranstaltung von Volksvorstellungen, volkstümlichen Musikaufführungen und dergleichen sind Mittel, auch der geistig reiferen Bevölkerung Anregung und Ausbildung zu gewähren. Auch das Theaterwesen wird je länger je mehr zu einer Aufgabe der Gemeinde nicht nur insofern, als sie

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/249&oldid=- (Version vom 30.7.2021)