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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

b) Autonome Körperschaften.
Von
Dr. W. von Blume,
Professor der Rechte an der Universität Tübingen.


Literatur:

Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4 Bde., 1868–1913.
Rosin, Souveränetät, Staat, Gemeinde, Selbstverwaltung, in „Annalen des deutschen Reichs“, 1883,
Rosin, Das Recht der öffentlichen Genossenschaft, 1886.
Hatschek, Die Selbstverwaltung in politischer und juristischer Beziehung, 1898.
Redlich, Englische Lokalverwaltung, 1901.
Preuss, Die Entwicklung des deutschen Städtewesens 1906.
Preuss, Selbstverwaltung, Gemeinde, Staat, Souveränetät, in der Festgabe f. Paul Laband, 1908.
Redlich, Das Wesen der österreichischen Kommunalverfassung, 1910.
Slawitschek, Selbstverwaltung und Autonomie 1910.


Zwischen den Staat und den Einzelnen schieben sich Verbände von mancherlei Art, die den Verbandsgenossen in ähnlicher Weise für sich in Anspruch nehmen wie der Staat den Staatsbürger: Gesellschaften, Vereine, Körperschaften. Indem sie den Einzelnen als Mitglied aufnehmen, unterwerfen sie ihn ihren Bestimmungen. Und sie erlangen eine Macht über ihn dadurch, dass sie sein Wohl mit dem Gemeinwohl der Verbandsmitglieder verknüpfen. Jeder rechtliche Verband bedeutet eine Herrschaft der Verbandsleiter über die Mitglieder. Eine Konkurrenz zwischen dem Staate und den anderen Körperschaften ist unausbleiblich.

Ist der Staat „souverän“ in dem Sinne, dass er die höchste Gewalt über die Staatsbürger für sich in Anspruch nimmt, so bedeutet jede von ihm anerkannte Herrschaft eines anderen Staatsangehörigen eine Beschränkung seiner eigenen Gewalt. Wie das Völkerrecht sich zwischen den Staat und Angehörige fremder Staaten stellt, so schiebt sich das Recht der innerstaatlichen Körperschaften zwischen den Staat und seine eigenen Angehörigen. Diesen Verbänden gegenüber die richtige Stellung für den Staat zu suchen, ist daher eine der wichtigsten Aufgaben der Politik.

Jede Herrschaft erzeugt das Streben nach Ausschliesslichkeit. Soll der Staat nicht durch andere Verbände seiner Herrschaft beraubt werden, so bedarf es einer Grenzziehung durch Rechtsetzung und einer Behauptung der Grenze durch die staatlichen Machtmittel.

Diese Grenzziehung kann in verschiedener Weise stattfinden. Am nächsten liegt der Gedanke einer Machtverteilung. Der Staat bestimmt eine staatsfreie Sphäre, innerhalb deren die anderen Körperschaften sich frei bewegen können. So lässt er den Kirchen ihre rechtliche Selbstständigkeit einschliesslich des Rechtes der Gesetzgebung und Verwaltung in kirchlichen Angelegenheiten. Aber auch den Privatvereinen lässt der Staat ein freies Gebiet: das Gebiet der privatrechtlichen Betätigung. Ob diese Grenzziehung durch Vereinbarung oder durch einseitige Bestimmung des Staates geschieht, verschlägt dabei wenig, in jedem Falle handelt es sich nur um eine Schranke, die der Staat seiner eigenen Macht zieht. Andererseits schliesst diese Art der Auseinandersetzung zwischen dem Staate und den übrigen Verbänden nicht aus, dass jener die Anerkennung des fremden Rechtes an bestimmte Voraussetzungen knüpft und darüber wacht, dass diese Voraussetzungen bestehen bleiben. Tritt in dieser Hinsieht eine Änderung ein oder überschreitet der Verband die ihm gesteckte Grenze, so gebraucht der Staat seine Machtmittel, um ihn in seine Schranken zurückzuweisen oder zu unterdrücken. Ja, unter Umständen beansprucht er ein Recht der ständigen Beaufsichtigung der Körperschaft. Und zwar dann, wenn er dieser seine Machtmittel zur Verfügung gestellt hat, gegenüber den Mitgliedern oder Dritten. Verleiht der Staat einer Kirche das Besteuerungsrecht oder verleiht er einem Vereine die Privatrechtsfähigkeit, so

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/240&oldid=- (Version vom 30.7.2021)