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Diverse: Handbuch der Politik – Band 1

auf Aufenthalt ist auch dann nicht die Rede, wenn in Staatsverträgen wechselseitig den Angehörigen ein Wohnrecht zugesichert wird;[1] in der neueren Literatur wird allerdings aus der in den Verträgen gewählten Formulierung vereinzelt ein Recht der Einzelnen auf Niederlassung und Aufenthalt konstruiert[2], was mir aber nicht zulässig erscheint; ich kann eine weitergehende Beschränkung des Ausweisungsrechtes als die durch das gemeine Völkerrecht gegebene in diesen Vertragsbestimmungen nicht sehen.[3]

Vorübergehende Ausweisung sämtlicher Angehörigen eines fremden Staates (Xenelasie) z. B. während eines Krieges ist völkerrechtlich zulässig, wird aber als „barbarisch“ empfunden.[4] Das bekannteste Beispiel aus neuerer Zeit ist die Ausweisung der Deutschen aus Frankreich im Jahre 1870. [5].

Normalerweise kann also jedermann fremdes Staatsgebiet, in der Regel formlos[6] betreten und sich vorübergehend oder dauernd im fremden Staate aufhalten.[7] Für die rechtliche Stellung der Fremden kann im allgemeinen[8] als massgebend gelten: Im Privatrecht ist der Fremde den Staatsangehörigen gleichgestellt, wenn nicht durch Gesetze eine Ausnahme gemacht ist; im öffentlichen Recht gilt das entgegengesetzte Prinzip, Ausländer haben an den Rechten keinen Anteil, wenn ihnen ein solcher nicht ausdrücklich zugesprochen wird; hier ist also Regel, was dort Ausnahme ist, und umgekehrt.[9] Dieses Prinzip wird durch Ausnahmen, die es nach beiden Richtungen hin gibt und wahrscheinlich immer geben wird, nicht erschüttert.

Im Privatrecht wird die Gleichstellung in der Regel unter dem Vorbehalt der Reziprozität gewährt.[10] Ausnahmen von der Gleichstellung finden sich in den meisten Staaten ziemlich übereinstimmend für gewisse Handelsbetriebe und Gewerbe.[11] Im öffentlichen Recht handelt es sich vornehmlich um die Ausübung der politischen Rechte,[12] die den Fremden nur in sehr seltenen Fällen zukommt, denn man sieht hierin eine Tätigkeit, die eine innige Verknüpfung mit dem Staat


  1. Der deutsch-niederländische Vertrag von 1904 sagt in Art. 1: „Die Angehörigen jedes vertragschliessenden Teiles sollen berechtigt sein, sich in dem Gebiete des anderen Teiles ständig niederzulassen oder dauernd oder zeitweilig aufzuhalten, wenn und solange sie die dortigen Gesetze und Polizeiverordnungen befolgen.“ Ähnlich der deutsch-schweizerische Niederlassungsvertrag von 1890, Art. 1.
  2. Aus der Literatur über diese Frage sei hervorgehoben: Laband, Staatsrecht des deutschen Reiches, I. S. 141 Anm. 1. Affolter. Der deutsch-schweizerische Niederlassungsvertrag. Archiv für öffentliches Recht VI. S. 378 ff. v. Overbeck, a. a. O. S. 37 ff. Heinrichs, Deutsche Niederlassungsverträge und Übernahmeabkommen S. 4.
  3. Eingehend habe ich die Frage in meinem „Fremdenrecht“ S. 129 ff. untersucht.
  4. So schon die Hellenen. Strabo XVII. S. 802.
  5. Lueder, in v. Holtzendorffs Handbuch des Völkerrechts IV. S. 349 ff. v. Martens, Völkerrecht II, S. 487.
  6. Passzwang kann von jedem Staate wieder eingeführt werden, wie es z. B. vorübergehend von Deutschland im Jahre 1888 gegen Frankreich geschah. Vergl. Ullmann, Völkerrecht (das öffentliche Recht der Gegenwart III.) S. 365 Anm. 1.
  7. Der Unterschied zwischen Niederlassung und Aufenthalt ist ein tatsächlicher, an den die Gesetze bisweilen anknüpfen, ohne dass der Unterschied von ihnen bestimmt wird. Vergl. Laband, a, a. O. I. S. 155. v. Frisch, a. a. O. S. 119 ff.
  8. Spezialgesetze und Staatsverträge begründen singuläres Recht und gehen dem gemeinen Völkerrecht vor.
  9. Der Versuch einer historischen Erklärung dieses Prinzipes bei v. Frisch, a. a. O. S. 115 ff.
  10. Im italienischen Zivilgesetzbuche von 1866 ist die Gleichstellung nicht mehr von der Reziprozität abhängig gemacht. Ullmann, a. a. O. S. 366.
  11. Die häufigsten Ausnahmen bestehen für die Küstenfischerei, Küstenschiffahrt, das Hausiergewerbe und einige andere Gewerbe. Auch der Erwerb und Besitz von Grundstücken wird noch vereinzelt beschränkt.
  12. Über den Begriff vergl. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte S. 136. Meyer-Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts S. 792. Anschütz, Deutsches Staatsrecht, in v. Holtzendorff’s Enzyklopädie II, S. 533.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 1. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_1.pdf/148&oldid=- (Version vom 1.8.2018)