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und dem Polizeidiener, seitlich zu uns ab und bildete den Schluß unseres Zuges. In dieser Formation marschierten wir durchs Dorf nach dem Versammlungslokal. Uns konnte auf diese Weise und unter diesem Schutz absolut nichts passieren und es gaudierte uns höchlichst, vier Sozialdemokraten unter dem Schutz von sechs Gesetzeswächtern.

In der Versammlung angekommen, die überaus stark besucht war, eröffnete uns ein dort schon anwesender weiterer Gesetzeswächter in Zivil, daß die Versammlung auf Grund des Sozialistengesetzes verboten sei und wir demgemäß keinerlei Reden halten dürften.

Wir bedankten uns zunächst für die uns widerfahrene Ehre, ohne zu unterlassen darauf hinzuweisen, daß es uns schier etwas zu viel dünkte und bemerkten, daß wenn uns das Redenhalten verboten sei, uns kein Mensch und kein Gesetz verbieten könne, uns mit den Anwesenden sonst gemütlich zu unterhalten.

Das geschah denn auch in ausgiebigstem Maße im Erzählerton seitens unseres Kandidaten und die ganze Versammlung lauschte seinen Worten, nicht zum wenigsten unsere sechs Beschützer. Der in Zivil Anwesende protestierte zwar wiederholt, jedoch vergeblich. Es wurde nicht früher Schluß gemacht, als bis alles uns nötig Scheinende gesagt war.

Das Resultat dieser nicht abgehaltenen Versammlung war, daß bei der Wahl unser Kandidat die meisten Stimmen erhielt.

In Bietigheim lag die Ueberwachung der Versammlung in den Händen des dortigen

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Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/97&oldid=- (Version vom 1.8.2018)