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„Warten Sie, bleiben Sie noch,“ herrschte der Gewaltige mich an, war aber doch so anständig, mir einen Stuhl anzubieten und mich einzuladen, Platz zu nehmen, was ich auch tat, worauf er sich entfernte, um nach anderthalb Stunden schon wieder zu kommen, mit der Eröffnung, das Flugblatt verstößt gegen §§ 130 und 131 des Strafgesetzbuchs und wird mit Beschlag belegt.

„Wo ist das Flugblatt,“ herrschte er mich an.

„In meiner Wohnung,“ entgegnete ich, „dann schaffen Sie es her,“ „fällt mir nicht ein,“ war meine Antwort.

„Wenn Sie es wollen, dann holen Sie es. Ich halte überhaupt die Beschlagnahme für einen Gewaltakt und protestiere dagegen. Weder gegen § 130 noch 131 liegt ein Vergehen vor, dies haben mir auf Befragen mehrere Rechtsanwälte versichert.“

„Darüber hat jetzt das ordentliche Gericht zu entscheiden, das Flugblatt bleibt mit Beschlag belegt,“ hiemit endete unsere Unterredung.

Der Polizeiamtmann wurde von dem Gewaltigen beauftragt, die Flugblätter in meiner Wohnung zu holen. Dieser, obgleich auch Bureaukrat, war bisher so ziemlich anständig mit uns verfahren, sodaß ich ein menschliches Rühren mit ihm empfand und ihn unterwegs fragte, „wie wollen Sie Herr Amtmann, die Flugblätter wegschaffen, es ist eine ganze Kiste voll.“

„Was, eine Kiste voll?“ fragte er entsetzt, besann sich und beauftragte einen Schutzmann, uns auf etwa 10 Schritte Distanz zu folgen. In meiner Wohnung angekommen, fanden wir Isak eifrig bei seiner nahezu beendeten Arbeit.

Empfohlene Zitierweise:
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)