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politische Reife erlangt, die es den Regierungen sowie den herrschenden Klassen unmöglich macht, jetzt und künftig die Politik des Reiches einseitig und willkürlich nach ihrem Sonder-, nach ihrem Klasseninteresse zu gestalten, sondern hiebei auch Rücksicht auf das arbeitende Volk zu nehmen. Ein großer, nicht zu unterschätzender Erfolg. Von den sozialdemokratischen Vertretern im Reichstag wurden alle Gesetzesvorlagen in der Richtung geprüft: „Welchen Einfluß haben dieselben auf die Gestaltung der Lage des arbeitenden Volkes?“

Energisch und teilweise mit Erfolg wurden Verschlechterungen dieser Lage verhindert. Verbesserungen der Lage der niederen Beamten und Lehrer, der in den Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter, wurden beantragt und durchgesetzt.

Im Besonderen: „Wem verdankt die Arbeiterschaft die sozialpolitische Gesetzgebung?“ Das Haftpflicht-, das Unfallversicherungsgesetz, die Kranken-, Invaliditäts- und Altersversicherung, die Einführung der Gewerbegerichte u. a. sind auf die Initiative, die Veranlassung der Sozialdemokratie zurückzuführen, wie der Gewaltmensch Bismarck in einer Reichstagssitzung mit den Worten zugeben mußte: „Wenn wir die Sozialdemokratie nicht hätten, hätten wir auch das bischen Sozialpolitik nicht“.

Ein bischen ist es allerdings nur, diese Gesetzgebung bringt nicht das, was der Arbeiter mit Recht verlangen kann, hieran ist aber nicht die Sozialdemokratie schuld, sie hat Besseres beantragt, gefordert. Die Regierung und die herrschenden Klassen haben dies verhindert.

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Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/149&oldid=- (Version vom 1.8.2018)