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Versammlungen so ruhig und sachlich diskutiert würde, und daß es auch dem politischen Gegner möglich sei, seinen Standpunkt ungestört darzulegen.

Er mußte eben einsehen, daß gegen die Argumente der Sozialdemokratie auch mit geistigen Waffen nicht anzukämpfen war.

Daß die hiesige Geistlichkeit auch ihr Kontingent zu diesen Kämpfern stellte, war insofern selbstverständlich, als diese Herren glaubten und heute noch glauben, eines der heiligsten Güter der Menschheit, die Religion, sei durch unsere Agitation in Gefahr und deshalb sei es Pflicht, in die Arena zu steigen.

Den Anlaß bot ihnen ein von uns arangierter öffentlicher Vortrag im „Sonnensaal“ hier. Zu diesem Vortrag hatten wir den ehemaligen Rabbi von Buddenhausen[ws 1] gewonnen, der sein Predigtamt in der Synagoge an den Nagel gehängt, unser Genosse geworden war und dieses Amt in unseren Versammlungen, zum Nutzen der Allgemeinheit, weiter ausübte. Leider ist der einst so beredte Mund seit einer Reihe von Jahren gänzlich verstummt, unser guter Dicker sitzt aber immer noch rüstig in seinen vier Wänden in Stuttgart, mit Tinte und Feder für unsere große Sache weiter arbeitend.

Ihn also hatten wir gewonnen. Als Thema zu seinem Vortrag wählte er „Atheismus“, ein Thema, so recht geeignet, unsere Frommen auf die Beine zu bringen. Die Versammlung war auf einen Sonntag nachmittag anberaumt und wir hatten wie immer freie Diskussion zugesichert.

Bald erfuhren wir auch, daß unsere Geistlichkeit erscheinen werde, um in der Diskussion das Wort

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Jakob Stern (1843–1911)
Empfohlene Zitierweise:
Gustav Kittler: Aus dem dritten württemb. Reichstags-Wahlkreis. Im Selbstverlag des Verfassers, Heilbronn 1910, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Gustav_Kittler_Erinnerungen_1910.pdf/108&oldid=- (Version vom 1.8.2018)