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nach Riga berief und ihm zunächst das russische und dann auch das deutsche Stadttheater zur Verfügung stellte. Nebenbei sei bemerkt, daß besagter Angarow in der Folge alle anderen Theatersäle der Stadt in seine Hand nahm, weil Exzellenz Beljajew keinem anderen als nur seinem Freunde seine Konzession erteilte. Es war also für gutes Theater, Drama und Oper gesorgt, und schließlich wurden auch die Schleusen der lange eingedämmten Musik geöffnet, und es gab mit einem Mal so viel Konzerte, daß es bald an Hörern zu mangeln begann. Nebenher blühten ein paar Dutzend Kinos und drei oder vier Tingeltangel, deren Darbietungen an Unzweideutigkeit nichts zu wünschen übrig ließen und sich daher des ungeteilten Beifalles des Kriegsvolks erfreuten.

Die Bemühungen des Polizeimeisters waren also vergeblich gewesen, Exzellenz Beljajew hatte in seine weisen Verordnungen eine mächtige Bresche gelegt, durch die Frohsinn und heiterer Lebensgenuß ihren sieghaften Einzug feierten. Aber Oberst Felitschkin ließ sich dieserhalb nicht anfechten. Wenn er bis dahin die Fahne der Enthaltsamkeit in nerviger Faust gehalten hatte, so folgte er nun als getreuer Schatten seinem hohen Patron in die Kaffeehäuser, die Theater, die Tingeltangel und sonstige vergnügliche Etablissements, wozu er sich, nebenbei gesagt, keiner sonderlichen Überwindung zu befleißigen hatte, — es erwies sich, daß auch der Oberst die Rosen, die am Wege des Kriegsmannes blühten, zu schätzen und zu pflücken verstand.

Es wurde also in den altersgrauen Mauern Rigas glänzend, geräuschvoll und lustig. Dafür sorgten neben Exzellenz Beljajew die zahlreichen Offiziere des Stabes, fast alle sehr wohl situierte, sehr auskömmlich besoldete und an eine breitwürfige Lebensführung gewöhnte Herren, die sich nichts abgehen ließen, in Kraftwagen von ungeheueren Pferdestärken oder in Gespannen von kolossaler Schneidigkeit und Kostspieligkeit einherfuhren, sich englisch kleideten und nach

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 89. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/93&oldid=- (Version vom 1.8.2018)