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Keller besaß, oder in der glücklichen Lage war, Kunstreisen nach Schweden unternehmen zu können.

Man mußte eben wieder einen Ausweg aus der Zwangslage suchen, und siehe da, man fand ihn, d. h. nicht einen Ausweg, sondern eine ganze Serie, ein förmliches engmaschiges Netz von Auswegen. Die städtische Bevölkerung wandte sich vertrauensvoll an die Apotheken, die bald einen derartigen Riesenumsatz in Spiritus zu verzeichnen hatten, daß die Aufsichtsbehörden sich veranlaßt sahen, den Ablaß von Spiritus aus den Apotheken fortan nur noch gegen ärztliche Rezepte zu gestatten. Nun begann für gewisse Ärzte eine unerhört reiche Erntezeit, ihre Praxis schwoll zu gigantischen Umfängen, und je weniger bekannt ein Arzt bisher gewesen war, um so beliebter war er mit einemmal bei der leidenden Menschheit geworden.

Soll ich berichten, daß man bald auch diesen Freunden der Menschheit das Handwerk legte, daß man den Verbrauch gewisser alkoholartiger Spezien verbot, den Handel mit Spirituslack und denaturiertem Spiritus stark einschränkte und überhaupt bemüht war, uns auf dem engen Dornenpfade eines nüchternen Lebenswandels zu erhalten?

Aber der menschliche Geist ist erfinderisch. Nachdem der dürstenden Menschheit sogar der Spirituslack und der vergällte Brennspiritus so gut wie ganz entzogen war, mußte man notgedrungenerweise sich nach Ersatz umschauen. In der Tat blühte bald der Hausbrand und die Hausbrauerei in ungeahnter Weise auf. Wenngleich die Strafen für die Eigner solcher, wahrscheinlich wohl nach Hunderttausenden zählenden Betriebe sehr hoch bemessen waren, so haben selbst die schwersten Strafen, ja sogar die Verschickung nach Sibirien, das Geschäft nicht wesentlich stören können, aus dem einfachen Grunde, weil der Gewinn enorm gewesen ist.

Der Unfug hätte natürlich nicht den gewaltigen Umfang erreichen können, den er tatsächlich annahm, wenn die Polizeiorgane bessere Aufsicht geübt hätten, doch das taten sie

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/81&oldid=- (Version vom 1.8.2018)