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kombinieren. Die Schneider, deren Brotkorb auch in die Höhe geschnellt war, erwiesen sich als nachsinnliche und erfindungsreiche Männer, — sie brachten mitunter aus ruinösen Gewandungen wahre Wunderwerke zustande, die wahrscheinlich wohl nicht den Beifall eines geaichten Dandys errungen hätten, aber doch ihren Zweck erfüllten und unsere dürre Blöße ausreichend bedeckten.

Schlimmer als um Kleider, stand es um Stiefel, die rar, teuer und miserabel wurden. Es gab eine Zeit, in der begeisterte Patrioten, die sich zu allen, auch den schwersten Opfern bereit erklärt hatten, den nationalen Bastschuh zu Ehren bringen wollten; in der Tat sah man auch auf den Straßen hin und wieder einen Narren, der zum steifen Filzhut Bastschuhe trug, aber viele Nachahmer fanden diese impulsiven Herren, die bald wieder von der Bildfläche verschwanden, nicht. Man kehrte reuig zum Lederstiefel und zu seinen Surrogaten, als da sind Zeugschuh, Gummi- und Linoleumsohlen usw. zurück. Auch hier fand der Erfindungs- und Kombinationsgeist unserer Schuster ein unabsehbares Feld zur Betätigung; sie bewährten sich als Schuh- Macher und Poet dazu, indem sie phantasievolle Werke aus geborstenen Zeugen verschwundener Pracht dichteten.

Und es war sonderbar, je teuerer und seltener das Leder in dem Staate wurde, in dem das meiste Horn- und sonstige Ledervieh herumläuft, um so mehr Leder wurde für Damenschuhwerk, das man eigentlich schon „Chaussure“ nennen muß, verschwendet; je kürzer die Röckchen, um so höher die Stiefelchen! Es ging in dieser Beziehung genau ebenso wie mit den Lebensmitteln, — je teuerer diese wurden, um so aufdringlicher wirkten die Delikatessen, die sich in den Schaufenstern blähten und dem hungrigen das Wasser im Munde zusammenlaufen machten. Man hatte kein Brot, aber es gab Leute, die 12 Rubel für eine Birne zahlten und 50 Rubel für ein Pfund Malossol anlegen konnten, ohne daß sie mit der Wimper dazu zuckten.

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)