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mußte man schließlich nicht verzichten, wenn man nicht Spekulant oder Arbeiter war! Es dauerte nicht lange, da ertappte man sich dabei, wie man seinen Gästen, so lange man solche an seinem Tische noch zu sehen in der Lage war, die Bissen am Munde abzählte, oder bei ähnlichen Gedankengängen, die einem vor Jahr und Tag einen Schauer des Ekels vor der eigenen Kleinlichkeit über den Rücken gejagt hätten.

Aber es half alles nichts, man mußte eben daran glauben und sich für die noch zu erwartenden schlimmeren Zeitläufte trainieren. Man begann zunächst mit dem, was einem in jahrelanger Übung lieb geworden, vielleicht unentbehrlich geschienen, aber nun doch abgeschafft werden mußte. Die starken Getränke, die in unserem Ausgabe-Budget immerhin einen anständigen Posten ausgemacht hatten, mußte man sich, wie in einem anderen Kapitel berichtet worden ist, in erster Linie abgewöhnen, denn einerseits waren sie nicht vorhanden, andererseits aber wurden sie, da sie eigentlich doch vorhanden waren, — sie hatten sich der sog. „Greifbarkeit“ entzogen und lagerten in still verborgenen Spekulantenkellern, — unsinnig teuer. Unverbesserliche Sumpfhühner, die in den ersten zwei Kriegsjahren für eine Flasche Schnaps oder eine Flasche Portwein noch 7, 8 oder auch 10 Rubel anlegen konnten, sahen sich bald aufs Trockene gesetzt, denn schließlich zahlte man für die eben genannten Getränke 50, 60 und gar 100 Rubel. Da mußte sich denn auch der wütendste Durst bescheiden, und den Weinberg, in dem man so wacker gearbeitet, den neugebackenen Kriegsmillionären, oder aber den Herren Arbeitern, die 60 und 70 Rubel pro Tag verdienten, überlassen, oder sich zu den zweifelhaften Produkten des Hausbrandes bekehren, die übrigens schließlich auch mit etwa 20 Rubel pro Flasche bewertet wurden. Diese Wandlung konnten freilich nur die ganz Ausgepichten mitmachen, denn die normal begabte Zunge und nicht minder

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/53&oldid=- (Version vom 1.8.2018)