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darf nicht vergessen, daß die zarische Regierung uns alle Waffen bis auf Jagdflinten abgenommen hatte, während die Plünderer mit Schieß- und Hiebwaffen, sowie mit Handgranaten und anderen Mordwerkzeugen überreichlich versehen waren und nicht nur die Absicht hatten zu plündern, sondern auch ihr Mütchen an allen Deutschen zu kühlen. Man darf also wohl mit allem Recht annehmen, daß wir eine Schreckensnacht zu durchleben gehabt hätten, wenn eben die Deutschen nicht schneller als man das hätte erhoffen dürfen, die Stadt besetzt hätten.

Um so größer war natürlich die Freude und um so herzlicher wurden Männer begrüßt, die uns von dem Pöbel, der sich in den letzten Tagen souverän gefühlt hatte, sowie von dem plündernden Abhub der russischen Armee befreit hatten. Man überschüttete die müden Sieger mit Blumen, Einladungen und Fragen, namentlich mit den letzteren. Man verlangte nicht nur von den Offizieren, sondern auch von jedem Gemeinen möglichst ausführlichen Bericht über die strategische und politische Lage; sie sollten Aufklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland und Kurland geben und womöglich Nachrichten über Verwandte und Bekannte hüben und drüben bringen.

Die Bestürmten mußten zuschauen, wie sie sich aus der Affäre halfen; im allgemeinen hielten sie dem Schnellfeuer der Fragen tapfer stand und ließen sich selbst durch die, sagen wir, naivsten Fragen nicht aus ihrer liebenswürdigen und reservierten Haltung bringen, wenngleich dazu eine Geduld und Nachsicht gehörte, die das Normalmaß weit überstieg.

Die Deutschen hatten sich fabelhaft schnell in der Stadt orientiert; sie bewegten sich bereits nach wenigen Stunden mit einer Sicherheit in der ihnen fremden Stadt, als ob sie in ihr immer zu Hause gewesen wären. Bis spät in die Nacht hinein sah man allenthalben plaudernde Gruppen; das Wetter war mild, am Himmel leuchtete der Mond und für

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/154&oldid=- (Version vom 1.8.2018)