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die zeitweilig als Wächter der öffentlichen Ordnung funktioniert hatten. Diese Bengel, die man früher auf Meetings und bei ähnlichen Gelegenheiten gesehen hatte, sowie die Kerle vom Milizionärtypus bildeten, wie ich zu beobachten Gelegenheit gehabt habe und wie das von vielen einwandfreien Zeugen erhärtet wird, die Führer der Soldaten, denen sie die Läden zeigten, aus denen reiche Beute zu erhoffen war. Die Soldaten folgten willig den Weisungen, und wenn sie nachlassen wollten, dann wurden sie von den Kerlen und den Weibern zu neuen Taten angefeuert.

Wenn der Abhub der zerfallenden, aus Rand und Band geratenen russischen Armee die Hand nach fremdem Eigentum ausstreckte, so ist das bis zu einem gewissen Grade begreiflich, denn es handelt sich um Leute, bei denen Rechts- und Eigentumsbegriffe nur andeutungsweise vorhanden sind und die durch das Leben im Felde stark verwildert waren. Mit einem weit schärferen Maße sind dagegen die Ausschreitungen des Teiles der Bevölkerung der Stadt, die sich an den Plünderungen als treibende Kraft beteiligten, zu messen. Es handelte sich hierbei nicht nur um jene Schicht, die man als „Pöbel“ bezeichnet, sondern auch um die Vertreter sozial höherstehender Klassen, um Arbeiter und kleine Handwerker, um Schüler von Mittel- und Hochschulen, die dem Wahnwitz der anarchistischen Lehren verfallen, nun ihr Mütchen an den verhaßten „Bourgeois“ kühlen durften.

Man darf wohl annehmen, daß die Soldaten am wenigsten mitgenommen haben, denn wohin sollten sie mit den geraubten Gegenständen? Freilich sah man hin und wieder Soldaten, insbesondere Kosaken, mit dem Raube schachern, aber die weitaus meisten sind weniger betriebsam gewesen und werden sich mit einigen Konservenbüchsen, einigen Flaschen Eau de Cologne, einem Wurstzipfel, einigen Paketen Zigarren usw. begnügt haben. Der Löwenanteil des Raubes ist unzweifelhaft in die Wohnungen des Proletariats gedrungen,

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/142&oldid=- (Version vom 1.8.2018)